Kapitel 33

Alexander hielt zwei volle Gläser in der Hand und wartete ungeduldig auf Eva. Sie hatte sich nur schnell die Hände waschen wollen. So lange konnte das doch nicht dauern! Wo sie nur blieb? Schließlich war sie es gewesen, die unbedingt gewollte hatte, dass er mitkam, schließlich hatte sie mit ihm anstoßen wollen. Und nun sowas! Unschlüssig trat er von einem Bein auf das andere. Als sie eine Minute später noch nicht da war, trank er eingeschnappt zuerst das eine, dann das andere Glas leer. "Auf Dein allerbestes Wohl!" murmelte er halblaut vor sich hin und lächelte bitter. Frauen!
Zuverlässig wie immer tat der Alkohol seine Wirkung: er fühlte sich einigermaßen heiter und grübelte nicht weiter darüber nach, wo Eva wohl so lange steckte. Sollte sie doch bleiben, wo der Pfeffer wächst! Er ließ sich noch ein Glas geben und gesellte sich zu den Leuten, die er kannte und mit denen er etwas zu reden hatte. Lebhaft beteiligte er sich an musikalischen Fachgesprächen und war zufrieden bis zu dem Zeitpunkt, da er glaubte, Marianna gesehen zu haben. Sein aufbäumender Herzschlag beruhigte sich erst als er erkannte, dass er sich geirrt hatte. Doch mit seiner Zufriedenheit war es vorbei. Wo war sie überhaupt? Sie müsste längst hier sein, sie und dieser feine Herr Schubert. Wenn die beiden nun ... Vor lauter Schreck ließ er sein Glas fallen. Zum Glück war es leer und zum Glück huschte ein eilfertiger Kellner herbei, der die Scherben diskret beseitigte und ihm sogar ein neues Glas reichte. Mit dessen Inhalt spülte er mit grimmigem Trotz seine wüsten Spekulationen über Marianna und Schubert hinunter. Nicht daran denken, befahl er sich, schließlich will ich sowieso nichts mehr von ihr wissen! Es brauchte noch ein weiteres Glas, bevor seine Gedanken von Marianna abließen.

Ein wenig unsicher auf den Beinen ging er auf die Terrasse. Nur einmal frische Luft schnappen, und dann, so nahm er sich vor, gehe ich nach Hause.
Zahlreiche Urwaldgewächse ließen vergessen, dass man sich mitten in der Großstadt befand. Prachtvolle Orchideen verströmten wahre Duftwolken und sorgten für einen wahrhaft paradiesischen Eindruck. Sogar der Partylärm war lediglich als gedämpftes Brausen im Hintergrund zu hören. Ab und an knallte ein Korken oder ertönte ein helles Lachen, was für einen kurzen Augenblick die Stille zerriss. Alexander setzte sich, sah zum Himmel hinauf und fühlte sich mit einem Mal überdurchschnittlich glücklich. Vielleicht lag es an einer Überdosis Champagner, vielleicht am betörenden Blumenduft. Wie auch immer, am liebsten hätte er die ganze Welt umarmt, so beschwingt fühlte er sich.
"... was halten Sie von diesem Projekt? Sagen Sie mir Ihre Meinung. Es ist sehr wichtig, was sie als Akteur in der Show davon halten. Ich habe heute schon viel Lob gehört ... darauf kann man nichts geben. Es waren dieselben Leute, die gestern noch von der Kampagne abgeraten haben."
Wie aus tiefem Schlaf erwachend sah Alexander verwirrt um sich, als unversehens eine Stimme in sein Ohr gedrungen war. Neben ihm auf der Bank saß die Gräfin. Sonst war keiner zu sehen. Sie musste also mit ihm gesprochen haben. Zugegebenermaßen hatte er keine Lust auf Konversation, schon gar nicht mit der Brauereieigentümerin und schon gar nicht in seinem Zustand. Doch der Anstand gebot eine Antwort.
"Ähm ... was kann Ihnen denn meine Meinung bedeuten?" Er war heilfroh, dass er nicht lallte. Offensichtlich war er weniger betrunken als er vermutet hatte. "Ich bin nichts als ein unbedeutender Musiker, dessen Urteil nicht maßgebend ist", erwiderte Alexander höflich. Er konnte sich überhaupt nicht vorstellen, warum sie nach seiner Meinung fragte; bestimmt verwechselte sie ihn mit jemand anderem. Wenn dem so war, bemerkte sie ihren Irrtum zumindest nicht. Sie redete und redete, bis es Alexander allmählich dämmerte, dass sie nicht seine Meinung wissen, sondern mit ihm flirten wollte. Was nun? Allein mit ihr gab es nicht viel Möglichkeiten, ihr auszuweichen. Aufstehen und weggehen, was er am liebsten getan hätte, ging nicht. Es wäre überaus unhöflich gewesen und außerdem, sie war eine einflussreiche Frau. Wenn er sie verärgerte, konnte das womöglich Auswirkungen für die Band haben. Ihm kam eben in den Sinn, was Vince ihm kürzlich über das "Karrieremachen" erzählt hatte. Was soll's dachte er, ich gehe jetzt trotzdem. Er machte Anstalten, aufzustehen. Diese Bewegung veränderte seinen Blickwinkel, und er sah Marianna hinter einem der großen Fenster stehen. Wider Erwarten spielte sein Herz diesmal nicht verrückt, sondern kalte Überlegung bestimmte über sein Handeln. Obwohl er sich nicht sicher war, ob sie ihn sehen konnte, veränderte er den Bewegungsablauf dahingehend, dass er nicht aufstand, sondern etwas näher an die Gräfin heranrutschte. Frauen eifersüchtig machen, so hatte Vince ihm lang und breit erklärt, sei ein probates Mittel, sie für sich zu gewinnen. Nun die Gelegenheit war günstig und vielleicht sah Marianna ja, was auf der Terrasse vorging, auch wenn er nicht sicher war, ob die Lichtverhältnisse dies zuließen. Vielleicht würde sie ja eifersüchtig, vielleicht war es ihr aber auch egal. Wer konnte das schon wissen?

Marianna sah zwar wenig, aber es reichte. Der Stich, den sie dabei spürte, ärgerte sie gewaltig. Er gehört mir! Erbost runzelte Marianna die Stirn und presste ihre Lippen zusammen. Das wird er mir büßen, schwor sie sich, bei mir stellt der sich so an und von der Gräfin lässt er sich betatschen. Sie war die Herrin des Konzerns und für ihre amourösen Abenteuer mindestens genauso bekannt wie für ihre sagenhafte Geschäftstüchtigkeit. Marianna, nicht minder geschäftstüchtig, war natürlich sonnenklar, dass sie nicht zu den beiden hingehen konnte, ohne vor der Gräfin das Gesicht zu verlieren. Das wollte sie keinesfalls, nicht wo die Geschäfte so gut liefen. Sie biss also in den sauren Apfel und überließ ihr Alexander. Zumindest für den Augenblick mussten ihre persönlichen Interessen warten. Sie drehte sich und suchte in der Menge nach einer geeigneten Ablenkungsmöglichkeit.
Keine Minute später lachte sie launig einen gutaussehenden jungen Mann an. Sie ließ sich von ihm bereitwillig auf die Tanzfläche führen und drängte sich dicht an ihn. Getreulich dem Hinweis, dass küssen besser sei als trübsinnigen Gedanken nachzuhängen, tat sie dies ausgiebig. Verhalten stöhnend erwiderte er ihre Avancen. Er war erregt und Marianna merkte schnell, wie der Funke übersprang und das Blut rascher durch ihre Adern floss.

Das Piepsen eines Mobiltelefons unterbrach schroff das romantische Getändel auf der Dachterrasse. Die Gräfin holte das Telefon aus ihrer Jackentasche und klappte es auf. Das war eindeutig unhöflich und erlaubte Alexander sich zurückzuziehen, ohne Repressalien fürchten zu müssen. Er verbeugte sich artig vor ihr, worauf sie allerdings nicht groß reagierte. Mit abwesendem Blick lauschte sie voller Konzentration in den Hörer. Das Nicken, mit dem sie ihn bedachte, hatte höchstwahrscheinlich nicht einmal ihm gegolten. Alle gleich! Er war darüber verstimmter, als er es hätte sein dürfen und beschloss, sich zum Trost noch ein Glas Champagner zu gönnen. Dann gehe ich aber wirklich nach Hause! Doch wie das Leben so spielt, es blieb nicht bei einem Glas.
"Hast Du nicht schon genug?" fragte Su besorgt, als er sich nochmal Nachschub an der Bar holen wollte. "Ein Kaffee ist jetzt viel besser für Dich. Komm mal mit!"
Energisch hakte sie ihn unter und platzierte ihn in einer durch üppige Grünpflanzen umstellten Sitzgruppe. Unter ihrer Aufsicht trank er zwei Tassen Kaffee und ein großes Glas Wasser hinterher. Er war heilfroh, auf sie gehört zu haben.
"Wenn Du zu Hause bist, nimmst Du noch eine Kopfwehtablette bevor Du ins Bett gehst. Ja?" befahl Su streng.
"Ja, alles klar, eine Kopfwehtablette," wiederholte Alexander lahm. "Ich hätte nicht so viel trinken sollen."
"Das wird schon wieder. Das passiert jedem mal ... solange es nicht zur Gewohnheit wird." Sie sah ihn verständnisvoll an und tätschelte ihm die Hand. "Bleib noch einen Moment hier sitzen. Dann nimmst Du Dir ein Taxi und fährst nach Hause. Keine Dummheiten mehr!"
Er nickte bereitwillig und bedachte sie mit einem leicht benebelten, irgendwie abgrundtief traurigen Blick. Das kann nicht nur der Alkohol sein, kombinierte sie haarscharf. Sie ließ ihr Mitleid aufwallen und küsste ihn mütterlich besorgt auf die Stirn.

Wie's der Zufall so wollte, bog Marianna gerade in diesem Augenblick um die Ecke. Was sie gesehen hatte, machte sie rasend. Nicht genug, dass die Gräfin an ihm rumtatschte, nun auch noch diese Su! Diesmal hätte sie keine Hemmungen gehabt, dazwischenzugehen, doch eine zufällig vorbeikommende Kundin hatte ein geschäftliches Anliegen. Ihre persönlichen Bedürfnisse mussten noch einmal warten.
Alexander drehte errötend seinen Kopf in die Richtung, aus der Mariannas Stimme kam. Aha, dachte Su, so ist das also. Wortlos tätschelte sie ein letztes Mal Alexanders Hand und ließ ihn allein. Hier konnte sie nichts mehr tun, hier halfen weder Kaffee noch Kopfschmerztabletten.
Marianna stand plötzlich vor ihm und schaute wütend auf ihn herab. Verlegen senkte er den Blick. Was hatte sie vor? Er nahm sich keine Zeit, die Antwort abzuwarten. Unterstützt von einer hysterischen Panikattacke, gelang ihm ein Blitzstart und zwei Sekunden später stieß er die Tür zur Herrentoilette auf. Gerettet!

Im Zeitlupentempo öffnete er nach einer Weile die Tür wieder und spähte nach rechts und links. Marianna war nicht zu sehen. Schnell lief er zum Aufzug, der sich glücklicherweise ganz in der Nähe befand. Er hatte gerade die Taste gedrückt, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. Starr vor Schreck schaffte er es nicht, sich umzudrehen.
"Sie werden uns doch nicht schon verlassen wollen? Kommen Sie, ich hatte Ihnen doch versprochen, Ihnen meine Lieblingsbild zu zeigen." Es war die Gräfin!
"Aber ich ... ich wollte gerade gehen", erwiderte Alexander schwach.
"Nichts da, versprochen ist versprochen. Kommen Sie mit! Es dauert nicht lange", versicherte sie ernsthaft, lächelte ihn gewinnend an und zog ihn mit sich fort.
Wieder war es der Zufall, der dafür sorgte, dass Marianna zur Stelle war und mitansehen musste, wie Alexander am Arm der Gräfin in einem Zimmer verschwand. Es war nicht irgendein Zimmer, es war das Arbeitszimmer der Gräfin! Was die beiden da drinnen treiben würden, war ja wohl klar. Wie hatte sie sich nur so in ihm täuschen können. Dabei war sie sich seiner so sicher gewesen. Dieser vermeintliche Unschuldsengel hatte es faustdick hinter den Ohren! Er konnte eine Frau ganz schön verrückt machen. Was sie in der vergangenen Stunde gesehen hatte, war eindeutig. Und bei ihr hatte er sich immer so angestellt. Ob er bei der Gräfin auch diese Moral-Tour fuhr, oder ob er noch andere auf Lager hatte? Na warte, dachte sie biestig, wenn ich Dich erwische! Sie allein wollte über Alexander bestimmen. Sie allein wollte das Recht haben, ihn zu berühren und zu besitzen. Innerlich über Gebühr wütend bezog sie eine Position, von der aus sie die Tür unauffällig im Blickfeld behalten konnte. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis die Gräfin endlich herauskam, ohne Alexander. Das war eindeutig genug!

Marianna riss die Tür auf, hielt inne und stützte sich betont lässig im Türrahmen ab. Lediglich ihre verkrampften Hände verrieten, welche Mühe es sie kostete, sich zu beherrschen. Ihr vernichtender Blick traf Alexander, ohne dass er es bemerkte. Er hatte sich nicht umgedreht, als sie die Tür öffnete und sah so unschuldig aus, wie er verträumt mit dem Kopf an der Fensterscheibe lehnte. Was hatte die Gräfin mit ihm gemacht, dass er so aussah?! Sie räusperte sich, worauf er sich träge umdrehte und (wie sollte es auch anders sein) ertappt zusammenzuckte. Wenn das nicht eindeutig war! In Marianna brodelte, dampfte und zischte es gewaltig. Wie ein Orkan kam über sie, worüber sie bisher nur gelacht hatte. Blinde Sinneslust gepaart mit rasender Eifersucht tobten entfesselt durch ihr Innerstes. Im Gegenzug erwachte wütende Raserei darüber, dass dieser verdammte Bengel sie dazu brachte, die Kontrolle über sich zu verlieren. Wo war nur ihre eiserne Beherrschung geblieben?
"Du? Was machst Du hier?" Ohne nachzudenken war ihm diese Frage herausgerutscht. Es musste der Schreck über ihre herausfordernde Haltung und die nackte Wut in ihren Augen sein, der ihn dazu getrieben hatte. So hatte er sie noch nie erlebt.
"Das frage ich Dich! Was machst Du hier?" fragte Marianna zurück. "Hast Du Dich von der auch küssen lassen? Wieviele waren es heute Abend? Na los, sag schon! Was hat sie mit Dir gemacht? Antworte!"
Alexander dachte beschämt an die Gräfin und an Su. Beide hatten ihn geküsst, doch nicht so, wie Marianna vermutete. Was bildete sie sich eigentlich ein? Hielt sie ihn für einen, der bereitwillig mit jeder Frau herumknutschte und herummachte? Glaubte sie gar, es ginge ihm nur um die Erfüllung körperlicher Lust? Sie hatte kein Recht, an seiner Aufrichtigkeit zu zweifeln. Und doch, musste nicht sein Verhalten den Eindruck geweckt haben, dass er es nicht ernst meinte mit ihr, dass er sie gar nicht wirklich liebte? Hatte sie seine Liebeserklärung als Lüge empfunden? Eine Lüge war es gewiss nicht gewesen, ganz gewiss nicht. Und doch, hatten nicht die flüchtigen Küsse von Su und der Gräfin eine Art begehrlicher Regungen hervorgerufen? Schamesröte stieg ihm heiß ins Gesicht. Das ging sie doch überhaupt nichts an! Ganz und gar nicht! Aufrichtig empört sah er sie an, sagte aber nichts, obwohl es ihn dazu drängte. Er würde es nie wieder sagen, obwohl es doch so wahr war. Er liebte sie, sie und niemand anderen. Sie dagegen, sie liebte ihn nicht.
"Nichts, gar nichts hat sie mit mir gemacht", flüsterte er, „und selbst wenn, es geht dich gar nichts an!"
Jetzt wird er auch noch rot, registrierte Marianna wütend die Veränderung seiner Gesichtsfarbe. "Lügner! Ein elender kleiner Lügner bist Du!" Sie ballte die Faust. Alles in ihr drängte danach, wie eine furiose Rachegöttin über ihn herzufallen und die Wahrheit aus ihm herauszuprügeln.
"Ich weiß gar nicht, was Du meinst“, antwortete er mit erzwungener Gelassenheit. „Die Gräfin wollte, dass ich ein Bild ansehe. Sonst nichts!" Er wunderte sich selbst, dass er nicht stotterte. So wie ihm die Knie zitterten und das Herz klopfte, wäre das nicht verwunderlich gewesen.

Marianna lockerte ihre Haltung und nickte langsam, Verstehen vortäuschend. Gleichzeitig drehte sie den Schlüssel in der Tür herum. Du entkommst mir nicht noch einmal, schwor sie sich.
Alexander rührte sich nicht von der Stelle, als sie drohend langsam auf ihn zukam. Da ihm nichts Besseres einfiel, lächelte er sie verzagt an. Dieses Lächeln wurde falscher, je näher sie kam und verkam schließlich zu einer grotesken Grimasse. Gleich schlägt sie mich, durchzuckte es ihn und er zog automatisch den Kopf ein, doch nichts dergleichen geschah. Ganz ruhig blieb sie vor ihm stehen, ganz ruhig und ganz nah. Er spürte ihre Wärme und hörte ihren Herzschlag. Ihr Atem glitt wie suchend über sein Gesicht, vertrieb damit das groteske Grinsen darauf und machte Platz für etwas, was er in seinem Aufruhr nicht richtig fühlen konnte. Offensichtlich hatte er sie angelächelt, was ein großer Fehler gewesen war, wie ihm sofort klar wurde. Ihr Zorn wich, und stattdessen erschien in ihren Augen jener Ausdruck leidenschaftlichen Begehrens, den er nur allzu gut von ihr kannte. Er übte offenbar die gleiche Wirkung auf sie aus, wie sie auf ihn. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit einem gewissen Triumph, wenngleich an seiner Situation überhaupt nichts Triumphales war. Er war ihr ausgeliefert! Und schon spürte er ihre Hände auf seiner Haut. Die Gewissheit, dass selbst die kleinste Berührung von ihr lustvolle Gefühle in ihm wachriefen, raubte ihm fast den Verstand. Das wollte er nicht, hatte es niemals gewollt und konnte es doch nicht verhindern. Als ihre Fingerspitzen seinen Nacken liebkosten, hielt er die Luft an. Als ihre Lippen der Spur ihrer Finger folgten, überschlug sich alles in seinem Bauch. Wonneschauer durchzuckten seinen Körper und sämtliche Alarmsirenen schrillten los.

"Fass mich nicht an!" fauchte er aufgewühlt und riss sich ruckartig von ihr los. „Lass mich bloß in Ruhe!“
"Aber, aber ...", spöttelte sie mit harter Stimme, reichlich entsetzt darüber, wie sehr sie seine Zurückweisung traf. So weit war es also schon gekommen! Sie ballte die Faust und ein zorniger Funke durchzuckte ihre Augen. "Du willst nicht? Nein? Ganz sicher nicht? Also gut! Wenn Du willst, dann gehe ich. Wenn Du willst, werde ich Dich nie wieder anfassen. Willst Du das wirklich?" Sie sah nicht, wie er fast unmerklich nickte. "Also gut, ich gehe. Aber einen letzten Kuss bekomme ich noch?" Sie sah nicht, wie er den Kopf schüttelte. So war sie nicht weiter überrascht, als sie plötzlich seine Lippen auf ihrem Mund spürte. Sie ließ es sich gefallen ohne ihm entgegenzukommen. Wie zur Belohnung für ihre Zurückhaltung umarmte er sie fest mit beiden Armen. Weiß er denn nicht, was er mit mir anstellt? Marianna verlor prompt die Beherrschung und ließ ihren ungeduldigen Fingern freie Fahrt. Nicht einmal eine halbe Sekunde später ging sein Atem erheblich schneller. Na also! Der, und nicht wollen ...
"Nein! Lass mich los! Hör auf damit!" rief er überlaut, gerade so, als müsse er nicht nur sie, sondern vor allem sich selbst ermahnen. "Es hat doch keinen Sinn!" Es ging doch nicht um ihn! Es ging doch nur um die Befriedigung ihrer Lust!
"Aber, aber ...", spöttelte sie erneut. "Du willst mich doch genau so, wie ich Dich, Du kleines Biest. Vielleicht sogar noch mehr ..."
"Nein! Das ist nicht wahr!" schluchzte er und starrte zu Boden, schockiert darüber, wie wahr ihre Worte waren. "Nein!" rief er dennoch heftig aus. "Nein! Ich will nicht!"
"Du weißt verdammt gut, dass das nicht wahr ist", widersprach sie. "Ich glaube, Dein Geschmack an sexuellen Freuden ist in letzter Zeit offensichtlich gewaltig gestiegen. Gib es ruhig zu!" Ohne ihn nochmals zu Wort kommen zu lassen, bemächtigte sie sich gewaltsam seines Mundes und zwang ihm einen leidenschaftlichen, aber lieblosen Kuss auf.
Blindlings trat Alexander nach ihrem Schienbein und schlug mit den Fäusten auf ihren Rücken ein. Ohne sich davon ablenken zu lassen, fuhr sie fort, ihn zu erregen. Verhängnisvollerweise reagierte sein Körper prompt, denn sie war erfahren genug, seine empfindsamsten Stellen zu kennen.
Obwohl sie seine willfährige Reaktion genau spürte, zog sie zunächst keinen Nutzen daraus. Sie gab ihn frei und sah ihn überlegen an. "Nun?" höhnte sie. "Was auch immer Du sagst, Dein Körper spricht eine andere Sprache! Du willst es! Das weiß ich ganz genau!" Dann packte sie ihn wild entschlossen fest an beiden Handgelenken, wirbelte ihn herum, warf ihn auf ein Sofa, zerrte sein T-Shirt hoch und seine Hosen herunter.
"Nein! Bitte nicht! Nicht so ... ich ... Du verstehst nicht ... Nein!" flehte er mit brechender Stimme. Warum war sie nur so rücksichtslos in ihrer Leidenschaft? Sie müsste doch wissen, dass sie alles von ihm bekommen würde, wenn ... ja, wenn ...
"Oh doch, ich verstehe sehr gut. Du willst es! Oder muss ich Dich erst dazu zwingen! Gib es endlich zu! Ich weiß genau, was Du willst! Und vor allem weiß ich genau, dass ich mir Deine Moral-Apostel-Tour nicht noch einmal anhören werde. Das nehme ich Dir nicht mehr ab, nicht nachdem, was Du Dir heute alles geleistet hast."
Diese Worte machten Alexanders Hoffnung, jemals ihre Liebe erringen zu können, endgültig zunichte. Sie hielt ihn für einen Lügner, für einen Schauspieler, für einen leichtfertigen Mann.
"Nein! Bitte! Glaub doch nicht, dass ich ... Lass mich los!"
"Sei still! Halt den Mund und lass mich machen. Ich weiß besser als Du, was Du willst. Ich weiß besser als Du, was zu tun ist. Ich werde doch nicht auf mein Vergnügen verzichten, nur wegen Deinem knabenhaften Getue. Benimm Dich endlich wie ein Mann."
"Nein! Bitte! Lass mich los!"
"Du kannst mich nicht aufhalten! Schrei ruhig, es hört Dich niemand! Wehre Dich nicht gegen mich und meine Weiblichkeit! Halt jetzt endlich still!" entgegnete sie mit bösem Lächeln und bearbeitete seinen Körper weiterhin völlig ungerührt. Der und nicht wollen, dachte sie, der soll sich bloß nicht so anstellen, dieser Lügner, ich bin doch nicht blind!
"Nein! Lass mich!"
Warum zierte er sich nur so? Dafür gab es nun wahrlich keinen Grund! Um weiteres Geschrei zu verhindern, verschloss sie seinen Mund mit einem harten Kuss, den sie übergleiten ließ in eine sinnliche Liebkosung seines Gesichtes. Weniger ruppig als zuvor glitten ihre Hände über seine Haut. Aufreizend sacht tanzten ihre Finger über seinen Bauch.
"Nein!"

Es klopfte. Es klopfte zweimal. Es klopfte dreimal und Marianna ließ endlich von ihm ab. Sie drehte sich von ihm weg, ordnete ihre Kleidung, dann öffnete sie die Tür. Alexander war ebenfalls aufgesprungen, hatte Hosen hoch- und T-Shirt runtergezogen und stellte sich so hin, dass es aussah, als sei er in die Betrachtung des Gemäldes versunken.

„Ah Frau Meinhard,“, da sind sie ja, rief Herr Schubert erfreut und warf dabei einen Blick auf sein Mobiltelefon und achtete nicht weiter darauf, wer sich sonst noch in diesem Büro aufhielt. „Kommen Sie bitte mit, die Gräfin möchte Sie sprechen, hat eine neue Idee.“

Ohne sich noch einmal umzudrehen verließ Marianna den Raum.

weiter
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