Kapitel 15

Marianna stand am Küchenfenster und starrte stumpfsinnig hinaus. Der Kaffee war alle und ihr Lieblingspullover in der Wäsche, und dann noch dieses Wetter. Es war kalt, stürmisch und regnete in Strömen. Der Himmel hing tief und grau über der Stadt.
In der U-Bahn war die Luft war zum Schneiden, dauernd trat ihr jemand auf die frisch geputzten Schuhe. Marianna benutzte aus Überzeugung öffentliche Verkehrsmittel, wann immer es nicht erforderlich war, mit dem Auto zu fahren. Eine Hand am Haltegriff, in der anderen die patentgefaltete Zeitung, verschont von Berufsverkehr und Parkplatzsuche, war sie meist zufrieden. Doch an Tagen wie heute ging ihr das Gedränge auf die Nerven. Nachsichtiger als sonst verstand sie, dass viele ihrer Bekannten, öffentliche Verkehrsmittel wie die Pest mieden und lieber selbst die Luft verpesteten. Getreu dem Motto 'freie Fahrt für freie Bürger' stand man zwar im Stau, konnte aber laute Musik hören und zeigen, was man sich für einen tollen Wagen leisten konnte, oder den Chauffeuer, so wie Bernhard einen hatte.
Mariannas erster Weg in der Agentur führte zur Kaffeemaschine, ein großartiges Gerät, und immer betriebsbereit! Sie ging in ihr Büro, Tür zu, Füße auf den Tisch und zehn Minuten meditatives Kaffeetrinken. Diesen Luxus gönnte sie sich allmorgendlich. Danach erst fühlte sie sich bereit, einen Arbeitstag zu beginnen.

Vince vergaß seinen Alptraum, während er frühstückte. Zum Glück stand er mit dem Wirt auf gutem Fuß und konnte anschreiben lassen. Frohgemut und voller Tatendrang sprang er wieder in seine Wohnung hinauf. Er dachte an seine Geldsorgen, die Band und an Marianna. Ja! dachte er, es musste einfach klappen. Er rief sie im Büro an und kündigte seinen Besuch an. Sie musste ihm helfen. Irgendwie! Ein bezahlter Auftritt, ein Plattenvertrag, was auch immer. Vielleicht brauchte sie ja einen Handwerker für ihr Büro. Mit einem Auftrag vom Theater war frühestens Ende der Woche zu rechnen. Hoffentlich, dachte er grimmig, so langsam wird's knapp. Nichtsdestotrotz parfümierte er sich sorgfältig mit den letzten Tropfen seines teuersten Rasierwassers.
Auf dem Weg kam er an einem kleinen Blumenladen vorbei. Blumen, dachte er, Blumen sind gar keine schlechte Idee. Schließlich hatte er Marianna berechtigten Anlass gegeben zu glauben, dass er und sie ... Er schmunzelte. Was für ein schönes Paar gäben sie doch ab. Was für eine schöne Karriere wäre das.
"Was sein muss, muss sein", murmelte er leise, öffnete die melodisch bimmelnde Ladentür und kramte in den Taschen nach Kleingeld. Eine langstielige rote Rosen wäre zu aufdringlich, Rosen sollten es aber schon sein, sinnierte er und entschied sich für kleinblütige weiße, drei davon. Er streckte die Hand aus und berührte die Blätter. Da spürte er, wie spitze Dornen seine Haut durchstachen, von innen! Ihm wurde schwarz vor den Augen, einen winzigen Augenblick nur, doch es hatte gereicht, ihn an etwas zu erinnern, was ihm den Angstschweiß auf die Stirn trieb. Wie von der Tarantel gestochen zuckte seine Hand zurück.
"Na hör'n Sie mal junger Mann, so geht das doch nicht. Sie dürfen die Blumen nicht anfassen. Steht ganz groß auf dem Schild!" Irgendwie benommen drehte er sich um. Da stand eine kleine, gedrungene Frau, die ihn, die Hände in die Hüften gestemmt, ärgerlich anfunkelte. "So geht's wirklich nicht ... da könnte ja jeder kommen! Was woll'n Sie denn?"
"Nichts! ... Gar nichts!" krächzte er mühevoll und rannte aus dem Laden.
"Unmöglich," brummelte die Blumenfrau empört, "diese Jugend heutzutage. Schon high am helllichten Vormittag ... und so blass ... früher hätte es sowas nicht gegeben!"

Eva begann diese Woche genauso wie viele andere zuvor: unwillig und mit dem Vorsatz, endlich etwas zu ändern. An ihrem Arbeitsplatz angekommen, schaltete sie Bürogesicht und Computer ein, hängte sich den Stöpsel ans Ohr und fluchte leise vor sich hin: Fünf elend lange Protokoll-Diktate; Direktor Wurgemann hatte am Wochenende offensichtlich Überstunden gemacht.

Für Alexander war dieser Montag ganz klar der unglücklichste in seinem ganzen Leben. Hin und hergerissen zwischen den widersprüchlichsten Gefühlen fiel er immer tiefer in ein dunkles Loch, so dass seine Mutter die größte Mühe hatte ihn dazu zu bewegen, überhaupt das Bett zu verlassen. Sie beobachtete ihn argwöhnisch und voller Neugierde, doch die Ernsthaftigkeit seines Elends, hielt sie davon ab ihn mit Fragen zu überschütten.

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