Kapitel 32

Eva sah sich in Vince' Badezimmer neugierig um. In einem Anfall von Übermut spähte sie hinter einen Regalvorhang und entdeckte eine Batterie, überwiegend fast aufgebrauchter oder leerer Duftwasserfläschchen und sie lachte. Unbekümmert öffnete sie einige davon und roch daran. Mit leicht bebenden Fingern strich sie über einen einigermaßen ordentlich zusammengelegten Handtuchstapel. Sie erschrak heftig, als etwas Weißes zu Boden segelte. Ein wahnsinniger Mörder mit blitzendem Messer hätte sie vermutlich weniger erschreckt. Sie bückte sich rasch und betrachtete verwundert ihren Fund: ein weißes Spitzentaschentuch. Sie stutzte, denn sie besaß genau das gleiche. Nicht, dass sie ihres auch nur andeutungsweise vermisst hätte, aber jetzt fiel ihr ein, dass ihres seit einiger Zeit fehlte. Da hörte sie Vince umhergehen und errötete ertappt. In Windeseile legte sie das Tüchlein zurück an seinen Platz und verließ das Badezimmer.
Eva war beklommen zumute und einen momentlang dachte sie darüber nach, ob es nicht vernünftiger wäre, gleich wieder zu gehen. Noch war es nicht zu spät! Vince schüttelte lächelnd den Kopf, so als hätte er ihre Gedanken gelesen. Automatisch lächelte sie zurück, nickte und ließ es geschehen, dass er sie an der Hand nahm. Reichlich verlegen und mit einem unbändigen Gefühl im Bauch und einem ebenso unbändigen Dröhnen in den Ohren, setzte sie sich mit weichen Knien neben ihm aufs Bett. Schüchtern wie eine Klosterschülerin legte sie ihre Hände ineinander. Sie kam sich reichlich blöd vor deswegen, traute sich aber nicht, ihn anzufassen, obwohl es ihr in den Fingern kribbelte.
Vince übersah ihre Verlegenheit galant und tat, was getan werden musste. Nach einem langen Kuss, der beide reichlich atemlos machte, sank er rückwärts auf die Matratze. Eine Hand unterm Kopf, sah er Eva verträumt an, während er sie mit der anderen neben sich zog. Ihr Herz klopfte wie wild, als sie zaghaft sein Gesicht berührte. Vince öffnete erwartungsvoll ein wenig den Mund. Wagemutig küsste sie ihn. Aufstöhnend drückte er sie eng an. Atemlos geworden löste sie sich von seinem Mund und sah Vince mit klopfendem Herzen von der Seite an. Er blinzelte entspannt, das Gesicht mit versonnener Zufriedenheit überzogen, bettete ihren Kopf auf seine Schulter, räkelte sich seufzend und legte sacht eine Hand auf ihre Hüfte. Evas Herz vollzog wahnwitzige Kapriolen, und sie hatte Schwierigkeiten mit dem Luftholen. Eine ganze Weile lag sie reglos da, bis sie es nicht mehr länger aushielt. Mit fast unmerklich zitternden Fingern legte sie ihre Hand auf seinen Bauch. Ihr blieb fast die Luft weg, als sie dabei zufällig ein Stück Haut zwischen dem Bund seiner Jeans und dem herausgerutschten T-Shirt berührte. Alles in ihr schrie nach mehr. Sie hob den Kopf und sein Arm rutschte schlaff von ihrer Hüfte. Ihr blieb das Herz stehen als sie erkannte, was geschehen war: Vince schlief tief und fest. Das durfte doch nicht wahr sein! Nichts destotrotz führte sie ihr Vorhaben aus und küsste ihn, doch er reagierte nicht. Verständlicherweise war sie mehr als fassungslos und es dauerte so seine Zeit, bis sie wieder klar denken konnte.

Einerseits empört, andererseits doch irgendwie erleichtert, stand sie auf, krampfhaft darum bemüht, ihre Erschütterung
zu überwinden. Was hätte sie sonst auch tun sollen? Auf dem Fußboden neben dem Bett entdeckte sie auf einem Silbertablett eine noch geschlossene, aber gut gekühlte Sektflasche und zwei Gläser. Nun denn, wenn es sonst nichts gab ... Gedacht, getan und einen Moment später schoss der Korken mit lautem Knall aus dem Flaschenhals. Selbst dieser Lärm weckte Vince nicht auf, nicht einmal gezuckt hatte er. Es war offensichtlich hoffnungslos. Wie, so fragte sie sich, verhält man sich in so einer Situation? Den Umständen entsprechend kaum belustigt stellte sie fest, dass für die wahrhaft wichtigen Ereignisse im Leben die Benimmbücher keinen Rat auf Lager hatten. Resigniert trank sie ein Glas Sekt und betrachtete währenddessen den friedlich schlafenden Vince. Er sah so unschuldig aus, so süß, so schnuckelig. Am liebsten hätte sie sich an ihn gekuschelt. Doch diese Regung unterdrückte sie energisch. So nicht! Wenn er es vorzog, in ihrem Beisein einzuschlafen ... So setzte sie sich in den Sessel und trank noch ein bisschen Sekt. Wenigstens schnarchte er nicht.

Als sie genug gesehen und getrunken hatte, verließ sie ihn und knallte, sie war wesentlich wütender, als sie sich zugestand, die Wohnungstür laut hinter sich zu.

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