„Sie sind da!“ rief die Königin hoch oben auf dem Turm, raffte ihre Röcke und eilte die Stufen hinab. „Sie sind da!“ wiederholte sie auf jedem Stockwerk die frohe Botschaft. Ihr Ruf wurde erst vereinzelt aufgegriffen, doch bis sie die Eingangshalle erreicht hatte, schallte es im ganzen Schloss: „Sie sind da!“
Ein wenig außer Atem trat die Königin durch das Portal gerade in dem Augenblick, als die Kutsche vorfuhr. Die Tür schwang auf, die Musikanten, stiegen aus, reckten und streckten sich ungeniert nach der langen Fahrt. Obwohl sie berühmt waren im ganzen Reich und weit darüber hinaus, fand man sie selten gemeinsam auf der Bühne, denn ihre Lebensaufgabe trennte sie oft genug voneinander. Einzeln waren sie schon grandios, gemeinsam waren sie unübertroffen.
Da ertönte plötzlich ein schriller Ton, gefolgt von ohrenbetäubendem Donner. Dunkelheit fiel herab wie ein nasses Tuch. Feuerblitze zuckten über den nachtdunklen Himmel. Die Königin fühlte sich am Arm gepackt und zurückgezogen, weg von den tobenden Naturgewalten, zurück ins Schloss. Erdreich und Steine wurden gepackt von einem gewaltigen Wind; er packte auch die Musikanten, wirbelte sie hoch und höher, als wären sie bloß Puppen aus Papier. Es donnerte ein letztes Mal. Der Sturm kam jäh zur Ruhe, das Grollen und Pfeifen verstummte. Der lichte Tag kehrte zurück. Doch die Musikanten waren fort.
„Das wird der Drache büßen!“ brüllte die Königin und ballte die Faust, rannte in ihre Gemächer, riß sich das Festgewand vom Leib und schlüpfte in ihre Reitkleider. Weiter rannte sie in die Waffenkammer, dort fand sie alles, was sie brauchte, um auf Drachenjagd zu gehen. „Das wirst du mir büßen!“ rief die Königin, ballte die Faust.
„Ihr dürft nicht gegen den Drachen kämpfen!“ beschwor sie Elgrimm der Ritter. „Es ist zu gefährlich, Ihr seid dem Land verpflichtet und Ihr müsst hierbleiben. „Ich werden en Drachen bezwingen!“
„Nein, ich selbst muss es tun!“, erwiderte die Königin, „dieser Drache ist eine elende Plage, lange schon und jetzt ist genug!“ Sie starrten sich gegenseitig an, der Ritter und die Königin, fast Nase an Nase, mit wildem Blick. „Wir gehen gemeinsam,“ beendete die Königin dieses Ringen. „Gemeinsam werden wir ihn besiegen. Ich trage die Verantwortung für die Musikanten, denn hätte ich sie nicht eingeladen, hätte der Drache sie nicht entführt! Ich muss sie zurückholen!“
„Ich komme auch mit!“
„Was?“ riefen Königin und Ritter wie aus einem Munde. „Ein Zwerg?“
„Ja, ein Zwerg!“ antwortete der Zwerg hoheitsvoll. „Und wir sollten eilen, bevor die Spur sich verliert.“
In gleichmäßigem Galopp preschten die Pferde voran, die Königin vorneweg, der Ritter, den Zwerg vor sich im Sattel, hinterher. Sie folgten einem unsichtbaren Pfad, nur erkennbar aus den Augenwinkeln. Der Weg war beschwerlich & leicht und lang & kurz zugleich. Das Ende des Weges erkannten sie daran, dass es nicht mehr weiterging. So sprang die Königin vom Pferd, zog ihr Schwert und hielt es vor sich wie eine Wünschelrute bis sie die richtige Stelle fand. Mit aller Kraft stieß sie das Schwert in das unsichtbare Hindernis hinein und schnitt eine Lücke, gerade groß genug, dass Pferde und Reiter hindurchpassten.
„Wo sind wir?“, fragte der Ritter verwundert, denn der Ort kam ihm vage bekannt vor.
„Im Schloss des Drachen“, erwiderte der Zwerg. „Es ist eine Art Abbild des königlichen Schlosses, wenn auch ein wenig verschwommen“, erklärte der Zwerg. „Herr Ritter, wenn Ihr so freundlich wärt, nun die Musikanten aus dem Festsaal zu holen, während ich mit der Königin den Drachen erwarte. Doch gebt acht, dass Ihr euch im Nebel nicht verirrt. Und schaut, hier weiter hinten steht ein Wagen, nehmt ihnmit, es könnte sich als nützlich erweisen.“
Der Ritter schnaufte empört, tat aber wie ihm geheißen, und folgte den elend falschen Tönen. Im Näherkommen tauchten aus dem irrlichternden Nebel die sechs Musikanten auf. Sie torkelten auf einer kleinen Bühne umher und bearbeiteten ihre Instrumente als wären sie Waschbretter. Der Sänger röhrte und quakte wie ein Ochsenfrosch, nur viel schlimmer. Der Ritter rief und winkte, doch sie hörten und sahen ihn nicht, gerade so als wären sie gefesselt in einem unsichtbaren Kokon, jeder ganz für sich allein. Schließlich riss er einem nach dem anderen das Instrument aus der Hand und verfrachtete sie in den Wagen, dem Sänger musste er gar knebeln, damit er endlich Ruhe gab. Wie gut, dass er den Wagen hatte, denn sie waren zu schwach um auch nur auf eigenen Füßen zu stehen. Da pfiff er nach seinem braven Pferd, schirrte es an und führte es den langen Weg zurück zur Halle.
„Elende Eindringlinge“, donnerte die Stimme des Drache unheilvoll durch die Halle. „Der Tod ist euch gewiss!“
„Frau Königin, geht dem Ritter zur Hand!“ befahl der Zwerg mit deutlicher Autorität. „Er schafft es nicht alleine mit den Musikanten.“
„Aber ein Zwerg“, fragte die Königin ungläubig, „schafft es allein mit einem Drachen?“
„Sehr wohl, Frau Königin“, antwortet der Zwerg würdevoll. „Ich werde den Drachen besänftigen!“
„Besänftigen?“ schrie die Königin. „Er ist toll, der Zwerg, er will den Drachen besänftigen!“
Der Zwerg ließ sich nicht abbringen und verbeugte sich artig vor dem Drachen, was der ungläubig zuschauenden Königin ein schrilles Lachen entriss.
„Oh holder Drache“, säuselte der Zwerg in bester Zwergenmanier. Der Drache brüllte nur. „Ich grüße dich!“ fuhr der Zwerg unterschüttert fort. „Nur gut, dass das grässliche Spiel dieser jämmerlichen Spielleute ein Ende hat!“ Der Drache brüllte ein weiteres Mal und Putz rieselte von der Decke. „Sag an, oh holder Drache“, fuhr der Zwerg ungerührt fort, „wünscht du nicht fröhliche Musik, die dein Herz erheitert?“
„Was versteht ein Zwerg von Musik und Herzen?“ polterte der Drachen und senkte seinen gewaltigen Kopf auf Augenhöhe mit dem Zwerg. „Noch niemals hat ein Zwerg davon verstanden! Verschwinde schnell, sonst fress‘ ich dich! Obwohl mir Zwerge seit jeher schwer im Magen liegen.“ Der Drache rotierte wild mit den Augen, Rauch quoll aus seinen Nüstern. „Mir wäre wirklich lieber“, flüsterte der Drache seltsam versöhnlich, „du würdest einfach verschwinden!“
Der Zwerg stand starr und wankte nicht, stattdessen begann er zu singen, eine behagliche kleine Melodie, deren liebliche Töne wie Seifenblasen durch die Luft trudelten. Gleichzeitig streckte er seine Hand aus, in deren geöffneter Handfläche es verheißungsvoll glitzerte. Der Drache ragte vor ihm auf wie ein Berg, schattig, dunkel und furchterregend. Sein gewaltiger Schwanz zuckte unkontrolliert und schlug einiges zu Bruch.
„So reich mir nun deine Hand, allmächtiger Drache!“, sprach der Zwerg und lächelte. Der Drache schnaubte, brüllte und spuckte Feuer. „Gib mir deine Hand!“ Der Drache brüllte unentwegt, die Vorderarme fest ineinander verschränkt. Keinesfalls würde er diesem Zwerg die Hand geben, aber der Schatz, der lockte und lockte so sehr. Fast unmerklich, als hätte seine Hand einen eigenen Willen, bewegte sie sich dem glitzernden Ding entgegen in der Zwergenhand entgegen. Er konnte nicht anders, es war ein Reflex, nichts weiter, und als er sich besann, war es schon zu spät. Der Drache griff nach dem glitzernden Ding, der Zwerg fasste nach der Pranke und hielt sie fest, mit beiden Händen kräftig und sanft zugleich. Der Drache indes brüllte und qualmte, wallte und wogte, auf und ab, und hin und her, bis er sich schließlich beruhigte, kleiner und kleiner wurde und sich schließlich verwandelte.
„Was hast du getan, du unseliger Zwerg!“, rief die Zwergin, die noch gerade eben ein stolzer Drache gewesen war, und stampfte wütend mit den Füßchen. „Nun bin ich so ein kümmerlicher Zwerg wie du, wenn ich mich anschaue, will ich platzen vor Wut.“
„Oh holde Zwergin, sei nur still und genieße das Wunder!“ beruhigte sie der Zwerg, „denn wir werden in das Königreich zurückkehren, die Musikanten werden fröhliche Weisen spielen und unser aller Herzen erfreuen und dann wir werden gemeinsam dazu tanzen.“ Da stahl sich, trotz all der Wut, ein schüchternes Lächeln auf das Gesicht der Zwergin. „Ich erinnere mich“, flüsterte sie verlegen und reichte dem Zwerg ihre andere Hand, „ich habe schon immer gern getanzt.“
„Der Drache ist besiegt auf feine Art, ein Hoch auf den Zwerg! Die Musikanten sind gefunden, ein hoch auf mich!“ rief der Ritter. „Kommt ihr Zwerge, steigt ein in den Wagen, wir müssen fort von hier, denn die Zeit ist tückisch in einem Drachenhort! Wenn wir zulange verweilen, wird unser Königreich vergangen sein, bis wir wieder zurück sind.“
„Das wird nicht passieren!“ beruhigte sie die Königin, „die Zwergin wird ihre Drachenkraft aktivieren, so dass wir rechtzeitig zurück sein werden!“
Erst wollt die Zwergin nicht, denn Drachentrotz ist keine Frage der Gestalt. Doch der Zwerg lächelte ihr aufmunternd zu, und so wirkte einen ixilanischen Transportzauber, der sie schnell und sicher in den königlichen Festsaal brachte, der sanft und hell im Schein unzähliger Kerzen leuchtete.
Jubel brandete auf, als die Königin mit ihrem Gefolge mitten Festsaal materialisierte. Die Musikanten schauten sich an mit großen Augen, erwachend aus einem seltsamen Traum. Sie reckten und streckten sich ungeniert nach dem langen Schlaf. „Los Leute!“ rief Vincenzo, der als erster wieder alle Sinne beisammen hatte. „Lasst die Kuh fliegen!“ Hüpfend und springend rannten sie wie übermütige Kinder zur Bühne. Denn genau deshalb waren sie hergekommen in dieses Königreich weit abseits der üblichen Wege.
„Musikanten spielt auf!“ rief die Königin und klatschte und alle anderen im Saal fielen mit ein. „Musikanten spielt auf!“
Und genau das taten sie. Sie spielten die ganze Nacht und alle tanzten und wurden nicht müde bis das erste Licht des Tages sie alle in den Garten lockte.
ENDE
die Königin
ein Drache
ein Ritter
ein Zwerg
die Musikanten
Suzane, an der Schalmei, ägyptische Prinzessin
Vincenzo, an der Trommel, venezianischer Seefahrer
Andrés, am Kontrabass, Alchimist des Saturn
Piedro, an der Fidel, Chymicus des Kaisers
Alessandro, am Cembalo, ein Traum von einem Mann
Marcondiel, der Sänger, schönster Elf aller Zeiten