Im Land der Kuscheltiere

Die Zeit war vorangeschritten, der Winter war vergangen und es war Frühling geworden. Die Sonne schien hell und die Pflanzen reckten sich ihr allüberall freudig entgegen. Es war solch ein schöner Tag als sich Pauline und Paulinus plötzlich wieder an den alten Turm erinnerten. Am liebsten wären sie sofort aufgebrochen, doch leider mussten sie noch bis zum nächsten Tag warten, bevor sie Gelegenheit hatten, dem Turm einen zweiten Besuch abzustatten.
Wieder schoben sie die Felsbrocken vor der Tür zur Seite, wieder stiegen sie die wacklige Treppe nach oben bis zum Turmzimmer. Und ja, da hing sie, die Hängematte, mit Kissen und mit Decken und allem drum und dran. Bis zum Schluss waren sie nicht sicher gewesen, ob die Hängematte da sein würde, ob alles, was sie dort oben an einem kalten Wintertag erlebt hatten, nicht nur ein Fiebertraum gewesen war.

Die Hängematte schaukelte einladend zwischen den Pfosten, gerade so, als hätte sie die beiden schon ungeduldig erwartet. Das Weidenkörbchen verströmte auch diesmal einen betörenden Duft und Paulinus hob, ohne zu zögern den Deckel hoch: Diesmal gab es Kakao zu den Keksen, die ebenso herrlich schmeckten wie beim letzten Mal. Flink sprangen sie in die Hängematte hinein und griffen beherzt zu.

Plötzlich tat es einen lauten Schlag und alle Fenster sprangen mit einem Mal auf. Der Wind pfiff so heftig herein, dass sich Paulinus und Pauline mit beiden Händen am Rand der Hängematte festhalten mussten, damit sie nicht hinausfielen. Immer heftiger schlingerte die Hängematte hin und her, immer heftiger pfiff der Wind, bis sich schließlich nach einem letzten Windstoß die Hängematte aus der Verankerung löste und zur Tür hinaussegelte. Vor lauter Überraschung kamen sie gar nicht dazu, sich zu fürchten. Ganz im Gegenteil: übermütig lachend winkte Pauline den schwarzen Rabenvögeln, die aufgeregt um die Turmspitze flatterten. Paulinus grinste ebenfalls bis über beide Ohren; das war ein Abenteuer ganz nach seinem Geschmack. Dann ließen sie die Köpfe über den Rand der Hängematte hängen und sahen hinunter. Es war wahrlich ein Wunder. Die Hängematte segelte so sicher wie ein Adler durch die Luft.
Sanft schaukelnd flog sie über das Schloss, über die Stadt, über das Dorf, über Wiesen und Felder, über den Wald und immer höher und höher. Sie flog über die Gipfel des Gebirges und immer weiter und weiter, bis weit in den Himmel hinein. Dort oben war es sehr kalt, doch Decken und Kissen hielten die Kinder schön warm. Wenn es gar zu kalt um die Nase wurde, tranken sie einen Schluck heißen Kakao. Keinesfalls wollten sie den Kopf unter die Decke stecken, denn wer weiß, was sie dann versäumten. Der Himmel wurde allmählich dunkler und die Sterne schienen zum Greifen nah. Fast wäre Pauline herausgefallen beim Versuch, sich einen davon zu pflücken. Eine ganze Weile später wurde es wieder heller, die Sterne verschwanden, es wurde wärmer. Die Hängematte sank nach unten. Die Kinder erwarteten, im nächsten Augenblick das Schloss zu sehen, doch weit gefehlt: sie befanden sich zwar mittlerweile über den schneebedeckten Gipfeln eines Gebirges, aber das Einzige, was sie unten erkennen konnten, waren Steine, nichts als Steine.

"Wo sind wir?", fragten sie sich wie aus einem Munde und ziemlich bang. Was, wenn die Hängematte sich verflogen hatte und sie nie wieder nach Hause finden würden? Doch bevor sie sich richtig zu fürchten begannen, machten sie eine merkwürdige Entdeckung. Denn es gab hier außer den unzählig vielen Steinen noch etwas anderes: Es gab Kuscheltiere. Je tiefer die Hängematte herabsank, umso mehr konnten sie davon sehen. Sie spazierten herum oder machten ein Schläfchen oder einen Besuch, sangen ein Liedchen oder hielten ein Schwätzchen.
"Plopp", machte es direkt neben Paulines Ohr und ein kleiner, zitronengelber Plüschhase fiel in ihren Schoß. "Plopp, plopp, plopp", machte es in unregelmäßigen Abständen und bei jedem "plopp" fiel ein Stofftier von oben herunter. Wo genau sie herkamen, konnten weder Paulinus noch Pauline erkennen, obwohl sie angestrengt in den Himmel starrten. Es machte einfach "plopp" und da waren sie schon.
Mittlerweile war die Hängematte gelandet und hatte sich zwischen zwei spitzen Felsbrocken verankert, so dass die Kinder bequem aussteigen oder sitzen bleiben konnten, ganz wie es ihnen behagte. Sie blieben natürlich nicht sitzen, sondern kletterten hinaus, denn die herumlaufenden Kuscheltiere mussten sie sich natürlich unbedingt ganz genau ansehen.
"Plopp", machte es wieder und ein giftgrünes Plüschkrokodil trudelte direkt zwischen Pauline und Paulinus zu Boden. Es streckte und reckte sich ausgiebig, bevor es sich auf die Hinterbeine setzte und den langen Kopf neugierig in alle Richtungen drehte. Hätte es Finger gehabt, es hätte sich ganz bestimmt vor Verwunderung die Augen gerieben und sich in den Arm gezwickt. Eben war es noch verstaubt und vergessen im hintersten Winkel eines Regals gesessen und nun sowas: schnatternde und plappernde Plüschtiere in allen nur erdenklichen Formen und Farben umringten das giftgrüne Krokodil und gratulierten ihm zur glücklichen Landung auf dem Steinwüstenplaneten.
Allen voran ein grün-braun gestreifter Teddy-Clown mit breitem Gesicht und viel zu kurzen Pfoten. Er war der Erste gewesen, so erzählte er dem Krokodil und den beiden Kindern, der vor langer Zeit durch einen dummen Zufall auf dem Steinwüstenplaneten gestrandet war.

Eines Nachts hatte der Teddy-Clown schlecht geträumt und war an der falschen Stelle aufgewacht, nämlich genau hier. Es gefiel ihm auf dem Steinwüstenplaneten überhaupt nicht, doch er fand den Rückweg nicht mehr, so sehr er sich auch anstrengte, um sich wieder zurückzuträumen. Dabei war es nicht so, dass er unbedingt dorthin zurückwollte, wo er hergekommen war. Das Kind, dem er geschenkt worden war, fand ihn hässlich und spielte niemals mit ihm. Nein, gefallen hatte es ihm in diesem Kinderzimmer gar nicht, aber dort war er wenigstens nicht alleine gewesen. Eine ganze Weile grämte er sich und weinte viel, bis er eines schönen Tages genug davon hatte.
Als erstes gab er sich einen Namen, denn er hatte nie einen bekommen, und nannte sich fortan SPARK. Als zweites erinnerte er sich an ein Märchen, wo es um die Macht es Wünschens gegangen war.
„Wohlan“, sagte Spark laut zu sich selbst, „dann wünsche ich mir Gesellschaft. Genau! Wenn ich nicht dahin zurückkann, wo ich vorher war, dann muss jemand zu mir kommen, so einfach ist das!“ Da er Zeit seines Lebens mit Kindern schlechte Erfahrungen gemacht und gelernt hatte, ihnen zu misstrauen, schien es ihm weitaus vernünftiger, sich Stofftiere herbeizuwünschen, solche, die mit ihren Kindern ebenfalls unglücklich waren. Überdies war er schlau genug zu wissen, dass es wohl kein Kind geben würde, das sich auf Dauer in einer Steinwüste wohlfühlen würde. Einem Stofftier war das aber ganz egal. Ganz im Gegenteil, für Stofftiere war dieser Ort geradezu ideal, denn es regnete nie. Überdies waren Stofftiere äußerst genügsame Wesen. Sie brauchten nichts zu essen und auch nichts zu trinken. Auch brauchten sie kein Bett zum Schlafen, denn sie waren gepolstert und hatten ein weiches Fell. Aber einen Freund brauchte selbst ein Stofftier.
So begann Spark jeden Morgen, sobald die Sonne aufgegangen war, mit dem Wünschen und hörte erst am Abend wieder auf, wenn es Zeit wurde, schlafen zu gehen. Er war ganz sicher, dass es klappen würde, wenn er nur ernsthaft genug wünschte. Und so geschah es denn, wenn auch nicht sofort. Doch nach einer gewissen Zeit fielen andere Kuscheltiere wie Regentropfen vom Himmel, mal mehr, mal weniger. Eines nach dem anderen landete auf dem Steinwüstenplaneten. Alle waren mit ihrem bisherigen Leben unzufrieden und nun heilfroh, dass sie endlich an einem Ort sein konnten, wo sie wirklich willkommen waren, ganz egal, wie sie aussahen. Alle miteinander hatten sie es satt, in Schränken eingesperrt zu sein, oder unbeachtet unter Betten herumzuliegen. Sie wollten, so wie alle anderen auch, ihren Spaß haben und in der Sonne herumtoben. Auf dem Steinwüstenplaneten gab es reichlich Platz und keines musste fürchten, nicht aufgenommen zu werden. Und weil es so viele waren, konnte auch jeder eine Freundin oder einen Freund finden. Auf dem Steinwüstenplaneten ging es so lustig zu, dass keiner jemals Heimweh bekam. Wenn, was selten genug war, sich Kinder in ihre Welt verirrten, begrüßten sie sie freundlich und erzählten ihnen ihre Geschichte. Doch keines der Stofftiere hatte das Bedürfnis, mit ihnen zu gehen, schließlich war es hier viel schöner.

So verging der Tag auf dem Steinwüstenplaneten mit Spiel und Tanz und viel Gelächter. Unversehens ging die Sonne unter und es wurde Zeit für Pauline und Paulinus, aufzubrechen. Sie verabschiedeten sich von den Kuscheltieren und alle sangen zum Abschied ein Lied. Als dies getan war, stiegen sie in ihre Hängematte, die schon ungeduldig schaukelte. Unter lautem Geschrei und lebhaftem Winken flog die Hängematte davon. Sie stieg auf und flog weit in den Himmel hinein, fast bis zu den Sternen, wo es kalt und dunkel wurde, bis es wieder abwärts ging. Tiefer und tiefer sank die Hängematte und segelte über Wälder und Wiesen, über das Dorf und die Stadt bis hin zum alten Schlossturm, wo sie sich zwischen den beiden Balken aufhängte.

Wie der Blitz rannten die Kinder die Treppen hinab und in ihr Zimmer. Es war längst schon Schlafenszeit und ganz sicher würde die alte Sophie gleich ein gehöriges Donnerwetter vom Stapel lassen. Aber das war ihnen egal. Sie hatten einen wunderbaren Tag erlebt und waren sich ganz sicher, ganz egal was jetzt noch geschah, ganz hervorragend schlafen zu können.

Fortsetzung folgt

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