Die Pferdemonster

Der Aufbruch

Am Rande der Sommerberge lebte eine Herde Pferdemonster. Warum die sie so genannt wurden, wusste keiner. Die Pferde kümmerte das nicht, denn sie waren keineswegs keine Monster, sondern freundliche Wesen. Schön waren sie obendrein: das Fell von blauschwarzer Farbe und glänzend, Hufe und Zähne weiß wie Schnee, die Augen golden mit rubinroten Sprenkeln darin, in der Mähne glitzerten goldene Lichtpunkte wie Sterne am Nachthimmel.

Nicht weit entfernt wohnte Knirps Gnom in der Krone einer alten Eiche. Vor dort aus beobachte er die Herde, wie sie blitzend und glänzend über die Ebene galoppierten. Das war so herrlich anzusehen, dass er oft jauchzte vor Freude. So manches Mal ritt er mit ihnen, hoch oben in der Kuhle neben einem Pferdeohr. Er wusste wirklich nicht was schöner war, mit ihnen zu galoppieren oder ihnen dabei zuzuschauen.

Eines Tages herrschte große Unruhe unter den Pferdemonstern. Knirps Gnom, neugierig wie immer, flitzte hin zu ihnen. Doch er verstand nicht, was sie so in Aufruhr versetzte, denn sie redeten schnell und wild durcheinander. Dabei wieherten sie laut und stampften heftig mit den Hufen. Da kletterte er flugs an einem Pferd hinauf und setzte sich in die Kuhle neben dem Ohr. Was auch immer es war, er wollte dabei sein, denn eines hatte er verstanden: sie wollten fort und in den Berg hinein.
Im Galopp ging es bis zum Eingang der Sommerberghöhle und dann im Schritt, in die Höhle hinein, bis es schließlich so dunkel war, dass Knirps Gnom nichts mehr sehen konnten. Auch die Pferde sahen wohl nichts mehr, denn sie blieben reglos im Dunkeln stehen. Knirps Gnom fragte sich, was wohl als nächstes passieren würde und klammerte sich ängstlich am Pferdeohr fest. Nach einer Weile, die ihm jedoch sehr lange vorkam, geschah ein kleines Wunder: die Sternpünktchen in den Mähnen begannen hell zu leuchten, und ihr Widerschein tauchte die Höhle in sanftes Licht. Knirps Gnom jubelte vor Freude und die ganze Herde fiel mit ein. Am Ende der Höhle begann ein schmaler Gang, gerade groß genug, dass ein Pferd hindurch passte. Die Pferdemonster bildeten also eine lange Reihe und eines nach dem anderen betrat den Gang. Immer tiefer ging es in den Berg hinein, mit vielen großen und kleinen Höhlen, die sie auf ihrer Wanderung durchquerten. Es gab jedoch nichts zu sehen, außer Gestein rundherum. Lange dauerte diese Wanderung und Knirps Gnom fürchtete schon, sie hätten sich verirrt und müssten immer drunten bleiben in der Tiefe der Sommerberge. Doch dann erhellte eine andere Leuchtquelle ihren Weg und kurz darauf betraten sie eine Höhle, groß genug, dass die ganze Pferdemonsterherde bequem hineinpasste.

Im Reich der Dame Marie-Louise

Das Leuchten kam von einer großen Laterne, die am Ufer eines Sees stand. Ebenfalls am Ufer des Sees stand ein Häuschen, darinnen wohnte die Dame Marie-Louise. Nun trat sie lächelnd vor die Tür und war wunderschön anzuschauen in ihrem Kleid aus grüner Schillerseide.
„Oh wie freu ich mich!“ rief sie eins ums andere Mal und klatschte dabei in die Hände wie ein kleines Kind. „So lange ist es her, dass mich jemand besuchen kam, dass ich schon dachte, es käme niemals wieder jemand vorbei. Wie schön, dass ihr mich gefunden habt!“
Die Pferde neigten den Kopf zur Begrüßung und Knirps Gnom tat einen großen Hüpfer und landete auf einem Zaunpfosten.
„Seit dem Tag, da der Böse Adlatan die Gänge verhexte, findet niemand mehr den Weg zu mir“, fuhr sie fort und tätschelte dabei Knirps Gnom, der Dank des Pfostens, auf dem er saß, fast so groß war wie sie. „Ich bin so froh, dass ihr hergefunden habt, das ist wirklich ein Wunder, ein wirklich großes Wunder! Nun seid ihr bestimmt froh, dass eure Reise ein Ende hat und bestimmt habt ihr großen Hunger.“ Sie wartete die Antwort erst gar nicht ab, sondern schüttete Hafer in einen Trog und füllte einen anderen Trog mit Wasser. Knirps Gnom servierte sie Getreidepudding und Kirschsaft.
Nachdem alle satt und zufrieden waren, erzählte die Dame Marie-Louise von ihrer Begegnung mit dem Bösen Adlatan. „Er ist durchtrieben und verlogenen, er ist hinterhältig und gemein, und ja, ausgesprochen hässlich“, beendete sie ihren Bericht, „äußerlich wie innerlich, sehr, sehr hässlich.“
„Stimmt genau!“, bestätigten die Pferdemonster. „Wie gut, dass wir hierhergekommen sind! Wir hatten plötzlich so ein Gefühl, dass es nun an der Zeit wäre, etwas gegen ihn zu unternehmen, bevor wir alle vergessen, wo wir einst herkamen.“ Also berichteten auch sie von ihrer Begegnung mit dem Bösen Adlatan, der ihre Schönheit nicht hatte ertragen können und der sie deswegen erst von ihrer Heimat vertrieben und dann so verhext hatte, dass sie den Weg nach Hause nicht mehr fanden. Nur nachts, wenn sie den Himmel betrachteten, hatten sie eine Ahnung, dass sie sehr weit fort waren von zuhause.

„Die Meerhexe kann helfen“, sagte Dame Marie-Louise, nachdem sie eine Weile nachgedacht hatte. „Die Meerhexe in der Nordischen See, die ist wild und gefährlich, aber sie ist eine mächtige Zauberin und ihr allein mag es gelingen, den Zauber des Adlatan aufzuheben. Ja, so machen wir das. Ich werde mit euch ziehen, ich glaube, ich habe etwas, was die Meerhexe freuen könnte, ja, das habe ich, und dann wird sie die Wege im Berg befreien und auch euch den Weg nach Hause zeigen. Genau so machen wir es. Mit euch gemeinsam, will ich es wagen. Ja! Wir gehen zur Meerhexe! Ja!“

Es dauerte so seine Zeit, bis die Dame Marie-Louise ihr Bündel geschnürt hatte, doch schließlich war sie marschbereit. Auf dem Rücken des Leitpferdes führte sie die Herde auf schnellstem Weg heraus aus dem Berg. Zwar hatte der Adlatan die Wege verhext, aber sie selbst fand die unterirdischen Wege immer und konnte sie benutzen, ganz so wie es ihr gefiel. Ohne ihre Hilfe hätten die Pferdemonster niemals wieder herausgefunden. Es grenzte schon an ein Wunder, dass sie überhaupt bei ihr angelangt waren.

Der Regenbogen

Am Fuße des Winterberges war die unterirdische Reise zu Ende. Mit zusammengekniffen Augen traten sie ins Freie, denn es war heller Tag und die Sonne blendete sehr. Und als wäre das nicht genug, fing es auch noch an zu regnen. Es regnete nicht lange, aber es reichte, dass alle klatschnass wurden. Die Pferdemonster schnaubten nur und stampften mit den Hufen doch Knirps Gnom und Dame Marie-Louise verzogen kläglich das Gesicht. Doch davon wurde es nicht besser, also machten sie sich auf den Weg, nass wie sie waren.

Nach einer Weile bogen sie um eine Kurve und staunten mächtig über einen Regenborgen, der das ganze Tal überspannte. Es war ein gewaltiger Regenbogen, der prächtig leuchtete, in allen nur erdenklichen Farben. Es war keiner unter ihnen, der jemals einen solchen Regenbogen gesehen hatte. Sie kamen zur Ruhe und verharrten und schauten einfach nur den Regenbogen an.
„Ja!“, sagte die Dame Marie-Louise laut und durchbrach die andächtige Stille. „Wir sind auf dem richtigen Weg, hinter dem Regenbogen die Küste entlang nach Norden, dann sind wir bald da.“
Die Pferde schüttelten sich und schnaubten noch einmal und dann trabte die Herde los. Ein sanftes Prickeln erfasste Pferde und Reiter während sie unter dem Regenbogen einhergingen. Alle bekamen strahlende, die Augen der Pferdemonster leuchteten gar wie kleine Sterne. Als sie sich umdrehten, um ihn noch einmal zu betrachten, war der Regenbogen jedoch schon fort.

Das nordische Land

Die Reise die Nordküste hinauf verlief ereignislos und langweilig. Am Ende des dritten Tages wünschten sie sich der Abwechslung halber, dass eines der grässlichen Ungeheuer herbeikäme, ein klitzekleines vielleicht, von denen die Dame Marie-Louise so lebhaft zu berichten wusste.

Einzig Knirps Gnom erlebte ein kleines Abenteuer und das kam so:
Die Pferdemonster trabten ganz nah an einem Häuschen vorbei. Knirps Gnom überkam plötzlich eine große Neugierde und so sprang er auf das Dach, landete auf dem Schornstein und, weil sein Schwung zu groß war, fiel er direkt hinein. Zum Glück war kein Feuer an, das wäre sonst übel ausgegangen. Die Pferdemonster indes bemerkten nicht, dass Knirps Gnom fortgesprungen war, sondern trabten einfach weiter. Unten in der Asche saß also Knirps Gnom und musste fürchterlich husten und niesen. Davon ging die Ofentür auf und er kullerte hinaus auf den Fußboden. Er landete neben der Katze, die dort schlief, aber natürlich sofort erwachte.
„Hilfe!“, piepste Knirps Gnom kläglich, „so hilf mir doch jemand!“ Er zittere vor Angst wie Espenlaub, denn die Katze war so viel größer als er und ihre Zähne waren lang und spitz. Er zitterte so sehr, dass all die Asche, die auf ihm lag, aufwirbelte und der Katze in die Nase wehte, wovon diese heftig niesen musste. Das war sein Glück, denn sie machte so viel Wind dabei, dass er davongepustet wurde, geradewegs zur Haustür hinaus.
Vor der Tür saß eine Maus, die niedlich war, aber dumm, denn sie konnte ihn nicht verstehen, und rannte davon, als er nach dem Weg fragte. Knirps Gnom ging ein paar Schritte, mal hierhin und mal dahin, konnte sich aber für keine Richtung entscheiden. Zuletzt kletterte an den Efeuranken zurück aufs Dach, weil er hoffte, von dort oben die Herde zu entdecken. Aber nichts, weit und breit nur Büsche und Bäume, aber kein einziges Pferd. Da fing er bitterlich an zu weinen, und wie er so weinte, begann es zu regnen. Auch das noch, dachte Knirps Gnom ärgerlich. Am Ende aber war er froh um den Regen, denn er hatte aufgehört, nachdem all der Ofenruß abgespült war. Ein leichter Wind, der warm und gemütlich war, blies ihn trocken und so war er wieder ganz der Alte. Wie er so dasaß und überlegte, was wohl zu tun wäre, kam eine kleine Wolke herbeigeschwebt, die hüllte ihn ein und nahm ihn mit. Die kleine Wolke hatte die Dame Marie-Louise geschickt, die ein wenig zaubern konnte, und so dauerte es nicht lange, bis Knirps Gnom wieder Platz nehmen konnte in der Kuhle neben dem Pferdeohr.

„Ich glaube“, sagte am Ende des vierten Tages das Leitpferd, „die Ungeheuer, die diese Ufer und dieses Meer bewohnen sind von unserer Schönheit so geblendet, dass sie sich nicht herauswagen, oder sie sind vor Neid geplatzt oder vor Scham versunken, das war eine kluge Entscheidung, werte Dame, mit uns zu reisen.“ Dann lachte das Pferd, wie nur Pferde lachen konnten und wieherte gar grässlich dabei und die ganze Herde wieherte mit und es war eine mächtige Gaudi. Nur die Dame Marie-Louise machte ein pikiertes Gesicht, denn sie fand den Humor der Pferdemonster gar nicht lustig.

Im Reich der Meerhexe

„Wir sind fast da!“, stellte das Leitpferd am Morgen des fünften Tages fest. „Das Meer ist aufgewühlt und es riecht nach wildem Zauber.“
„Ja!“, bestätigte die Dame, „wir sind angekommen. Jetzt müssen wir nur noch ins Meer hinein und hinab auf den Grund, zum Schloss der Meerhexe.“
„Ins Meer hinein und hinab auf den Meeresgrund?“, wiederholte das Leitpferd ein wenig dümmlich. „Wie soll das gehen? Wir sind doch keine Seepferde!“
„Wie gut, dass ich mitgekommen bin“, antwortete die Dame Marie-Louise vergnügt und kramte in ihrem Bündel herum. „Ja, hier ist es“, sagte sie und es klang ein wenig dumpf, denn sie steckte mit ihrem Kopf fast gänzlich in ihrem Bündel. „Hier, meine werten Reisebegleiter“, sagte sie und hielt eine Schale mit getrockneten Oliven hoch. „Für jeden eine, das wird uns Luft geben, bis wir erledigt haben, wozu wir hergekommen sind. Ihr müsst nur den Olivenkern im Mund behalten, solange wir unter Wasser sind.“ Was blieb ihnen also anderes übrig, als zu tun, was die Dame Marie-Louise vorschlug und darauf zu achten, den Kern nicht zu verschlucken. Die Pferdemonster bekamen sehr große Oliven und Knirps Gnom eine sehr kleine. Und dann stob die Herde in mächtigem Galopp ins Meer hinein. Eine Welle später waren sie gänzlich untergetaucht und sanken gemächlich tiefer.

Knirps Gnom drückte sich ganz tief in das Pferdeohr hinein und atmete ganz behutsam, denn er traute der Sache mit dem Olivenkern nicht so ganz. Aber es funktionierte prima und nach einer Weile verlor er seine Angst und betrachtete staunend die blaue Unterwasserwelt. Tausende von Fischen in allen Farben, Formen und Größen flitzten hin und her. Es gab Muscheln unterschiedlichster Art und manche waren offen, so dass die Perlen darin zu sehen waren. Wasserpflanzen wogten wild, wenn die Herde an ihnen vorbeitrabte.
Endlich waren sie auf dem Meeresboden angekommen. Die Herde formierte sich, das Leitpferd mit der Dame Marie-Louise vorneweg. So trabten sie an, so gut es eben auf dem Meeresboden ging.
Plötzlich schoss ein großer Schatten heran. Voller Schreck erkannten sie, dass ein riesiger Hai mit weit aufgerissenem Maul auf sie zukam. Aber noch bevor er zuschnappen konnte, schlugen die Pferdemonster mit den Hinterbeinen aus, alle gleichzeitig und trieben ihn so in die Flucht. Knirps Gnom war so erleichtert, dass er lachen musste, was nicht einfach war mit geschlossenem Mund, denn er durfte ja seinen Olivenkern keinesfalls verlieren.

Hinter der nächsten Klippe erwartete sie ein weiteres Ungetüm. Eine riesige Qualle schwebte dort mit furchterregenden Peitschententakeln, die Sand und Wasser aufwühlten, so dass sie nichts mehr sehen konnten. Die Pferde stemmten die Beine in den Boden und weigerten sich, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Auch Dame Marie-Louise war zuerst schreckensstarr, doch dann erinnerte sie sich und lächelte wieder. Sie flüsterte dem Leitpferd beruhigend ins Ohr, schwamm vorneweg und die Herde folgte. Als sie ganz nah herangekommen waren entdeckten sie, dass die Qualle über und über bedeckt war mit Wasserblüten, Perlen und Muschelschalen. Die zuvor wild peitschenden Tentakel schwebten nun still im Wasser. Sie hatten das Schloss der Meerhexe gefunden.

Drinnen standen Wasserfrauen und Wassermänner Spalier, das waren die Wachen, und ganz hinten saß die Meerhexe auf einer Schildkröte. Die Meerleute verneigten sich vor der Hexe, auch Dame Marie-Louise verneigte sich, nur die Pferdemonster rührten sich nicht.
„Sperrt sie alle ein!“, befahl die Meerhexe. „Ich will gar nicht hören, was sie sagen!“
„Sei gegrüßt, Meerhexe!“, entgegnete die Dame Marie-Louise und lächelte freundlich. „Wir sind gekommen, weil wir deine Hilfe benötigen.“ Sie kannte die Hexe aus früheren Tagen und wusste wohl, dass diese nicht immer so mürrisch gewesen war. Einst war sie schön und freundlich gewesen. Es musste einiges passiert sein, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten.
„Ich kann niemandem helfen“, brummte die Meerhexe grimmig, „geht wieder fort und lasst mich zufrieden.“
„Wir bleiben!“, erwiderte Dame Marie-Louise freundlich, aber bestimmt. „Wir sind einen weiten Weg gegangen und was auch immer zu tun ist, damit du uns hilfst, das werden wir tun. Ich habe dir sogar ein Geschenk mitgebracht! Doch sag an, was ist geschehen, dass du so schlechte Laune hast und so grässlich aussiehst?“
„Ich kann niemandem helfen, und ich will es auch nicht“, brummte die Meerhexe abermals, „und vor allem will ich mich nicht erinnern! Und jetzt geht fort und lasst mich in Ruhe! Aber das Geschenk lass da!“
„Nein, nein, das Geschenk gibt es jetzt nicht, später vielleicht“, erwiderte die Dame Marie-Louise, „später, wenn du den Pferdemonstern geholfen hast, sie brauchen deine Zauberkraft so dringend. Ich denke, auch du könntest Hilfe gut gebrauchen. Das Geschenk gibt es später!“
„Eure Hilfe brauch ich nicht“, murrte die Hexe, aber nicht mehr ganz so böse, denn sie kannte die Dame Marie-Louise aus guten Tagen und wusste wohl, dass sie Hilfe gut gebrauchen könnte.

Schließlich erlaubte die Meerhexe, dass sie blieben und hörte sich an, welcher Art Hilfe von ihr gewünscht wurde. Als die Rede auf den bösen Adlatan kam, nickte sie grimmig. Auch sie kannte ihn gut. Einst hatte sie ihn vor dem Ertrinken gerettet und als Dank hatte er sie bestohlen.
„Er konnte so schön erzählen und am Anfang hatten wir viel Spaß miteinander“, begann die Meerhexe mit ihrem Bericht. „Ich zeigte ihm mein Reich und alles was es dort zu sehen gab. Dazu müsst ihr wissen, dass ich nicht immer mit meinem Schloss an einer Stelle verharren musste, die Seepferde zogen das Schloss mal hierhin, mal dorthin, genauso, wie ich es haben wollte.“ Sie stand auf und ging mit ihnen nach draußen. „Schaut hier, da liegen die Geschirre für die Seepferde, ganz zugewachsen sind sie schon, so lange ist es her, dass sie benutzt wurden. Einst hatte ich einen goldenen Ring, wunderschön, mit Rubinen verziert. Das war ein magischer Ring, müsst ihr wissen, denn die Seepferde gehorchen demjenigen, der den Ring besitzt. Und genau diesen Ring hat er mir gestohlen. Ich habe jeden Zauber angewendet, den ich kenne, doch den Ring habe ich nicht wiedergefunden, und alle Seepferde sind seitdem fort.
„Der Böse Adlatan hat ein großes Talent dazu“, fuhr die Dame Marie-Louise fort, „anderen das Leben schwer zu machen: dein Schloss unbeweglich, meine Wege verhext und die Pferdemonster vertrieben. Das muss ein Ende haben!“
„Das muss ein Ende haben!“, wiederholte die Meerhexe. „Doch nun geht zurück an Land für die Nacht und kommt zu mir, sobald die Sonne aufgegangen ist. Dann beraten wir uns!“
Und so machten sie es.

Die Rettung

In der Nacht träumte Knirps Gnom sehr viel und alles ging wild durcheinander. Kurz vor dem Aufwachen ordnete sich der Traum und zurück blieb die Erinnerung an einen silbernen Korallenwald und an die traurigen Augen eines Seepferdes.
So kam es, dass sich Knirps Gnom hervortraute und allen von seinem Traum erzählte: „Glaubt mir!“, beendete er seine Erzählung so energisch wie es ihm möglich war. „Die Seepferde wissen, wo der Adlatan den Ring versteckt hat. Er wird ihn immer dann hervorholen, wenn er den Seepferden etwas befehlen will. Sie wissen es, ganz bestimmt.“
„Woher willst du wissen, dass es ein Seepferd war?“ fragte die Meerhexe streng. „Du hast noch nie ein Seepferd, nicht wahr? Du hast nur wirres Zeug geträumt, nichts weiter. Sie sind schon so lange fort!“, jammerte die Meerhexe und fing fast an zu weinen. „Wie sollen wir sie denn finden? Sie kommen nicht mehr, wenn ich rufe, glaubt mir, das habe ich oft genug ausprobiert!“ Eine Weile schwieg sie, ganz in Gedanken versunken, und ließ sich dann von einer Wasserfrau das Buch der Weltenmeere bringen „Hier in diesem Buch“, erklärte sie, „ist alles verzeichnet. Von einem silbernen Korallenwald steht nichts geschrieben, nichts, gar nichts! Alles nur Unfug, dieser Traum!“
So standen sie stumm und entmutigt und schauten mit kummervollen Gesichtern in die Runde: die Meerhexe, die Pferdemonster, die Dame Marie-Luise und allen voran Knirps Gnom, selbst die Fische schienen mutlos.
„Es könnte sein“, begann nach einer Weile die Dame Marie-Luise, „dass der silberne Korallenwald nicht Teil unseres Meeres ist. Der Böse Adlatan ist nicht von dieser Welt, er kam von weit her und kann Ring und Seepferde weit fort von unserer Welt versteckt haben, dann wird es in der Tat schwierig sie zu finden, aber ja!“, hier nickte sie energisch „wir werden ihn trotzdem finden.“ Dann drehte sie sich um und sah Knirps Gnom direkt an. „Du wirst sie finden, die Seepferde und den Ring und alles zurückbringen. Du bist klein genug, du kannst durch den Spalt zwischen den Welten schlüpfen.“
„Ich werde sie finden!“, versprach Knirps Gnom, selber am meisten erstaunt über seine Zuversicht. „Ich träumte, dass sie gerne zurückkommen wollen, ich glaube, dass sie mich leiten werden.“
„Der Ring“, fuhr die Meerhexe fort, „ist auf jeden Fall in einem Meer versteckt, denn an der Luft verdunstet er und seine Zauberkraft entweicht!“
„Der silberne Korallenwald war riesig“, erinnerte sich Knirps Gnom, „und davor stand ein Seepferd ganz allein.“
„Nun denn“, sprach die Meerhexe in gewohntem Befehlston. „Mach dich unverzüglich auf den Weg und komme erst zurück, wenn du den Ring gefunden hast!“
Bei diesen strengen Worten wurde Knirps Gnom doch sehr verzagt, aber die Dame Marie-Luise sprach ihm beim Abschied Mut zu. „Sei unverzagt, Knirps Gnom, du bist genau der Richtige für diese Aufgabe. Wie gut, dass die Pferdemonster dich zu mir gebracht haben.“ Sie gab ihm eine Kirsche, die sollte er essen mitsamt dem Kern. „Die Kirsche bewirkt“, erklärte sie, „dass du mit deiner Traumwelt verbunden wirst und über die Traumwelt bist du mit den Seepferden verbunden. Auf diese Weise solltest du gefahrlos zu ihnen gelangen. Ja! Ganz bestimmt! Eines der Pferdemonster sollte mit dir gehen, das kleinste vielleicht, so kommst du schneller voran.“
Das kleinste Pferdemonster hieß Loxi und war sehr gerne bereit mit Knirps Gnom zu begleiten. Die Dame Marie-Luise hängte beiden einen Glücksbringer um den Hals, und dann machten sich die beiden auf den Weg.

Nun denn, dachte Knirps Gnom, dann ist das so. Er machte es sich bequem in der Kuhle neben dem Pferdeohr und dachte ganz fest an die Seepferde und den Korallenwald. Er lenkte das Pferdmonster bald hierhin, bald dahin und eine ganze Weile, so schien es, liefen sie im Kreis. Knirps Gnom wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, denn unter Wasser gab es wenig Unterschied zwischen Tag und Nacht. Aber auf diese Weise sah Knirps Gnom Dinge, die er sonst nicht gesehen hätte. Ohne seinen ganz besonderen Auftrag hätte er diese Reise sehr genossen.
Mit der Zeit wurde es dunkler und kälter und das Wasser wurde richtiggehend zäh. Das Gehen wurde sehr mühsam für Loxi und es kam kaum noch vornan. Als es fast stehenbleiben musste, erschien in der Ferne ein Leuchten, das ganz allein Knirps Gnom zu gelten schien, denn sah Loxi nichts dergleichen. Er behielt das Leuchten fest im Blick und lenkte das Pferdemonster in dessen Richtung. Schließlich wurde das Leuchten kräfiger, auch das Wasser wurde wieder so flüssig, wie es zu sein hatte, bis Loxi am Ende so schnell wie zuvor über den Meeresboden trabte.

Im Näherkommen verwandelte sich das Leuchten silberhelle Äste mit dunklen Stellen dazwischen. Da wusste Knirps Gnom, dass er den Korallenwald aus seinem Traum erreicht hatte.
Und dann sah er auch das erste Seepferd seines Lebens. Er hätte es nicht erkannte, natürlich nicht, aber Loxi wusste sofort Bescheid, mit Pferden, egal welcher Sorte, da kannte es sich aus.
Das Seepferd verharrte starr und stumm, als sie es ansprachen. Knirps Gnom erschrak sehr, denn er dachte, es wäre vielleicht tot.
„Sei unbesorgt!“ beruhigte ihn Loxi. „Dem Seepferd geht es gut, es hat nur Angst vor uns, es kennt uns nicht, es weiß nicht, dass wir von der Meerhexe kommen. Nicht wahr?“ Loxi ging ganz nah an das Seepferd heran und sah im fest in die Augen. „Fürchte dich nicht, kleines Seepferd. Die Meerhexe schickt uns, damit wir die Herde nach Hause bringen.“
„Ist das wahr?“ fragte das Seepferd ungläubig. „Ist das wirklich wahr?“
„Ja!“ erwiderte Loxi. „Das ist wahr! Und vollbringen wird es Knirps Gnom, der ausgewählt wurde, weil er der kleinste ist von uns allen.“
„Oh ja!“ lachte Schnöck das Seepferd, „der Knirps ist wirklich sehr klein und doch soll er Großes vollbringen?“ Schnöck war ein altes Seepferd und glaubte nicht mehr an Wunder.
„Oh doch!“ erwiderte Loxi ernsthaft, „der Knirps ist wie geschaffen dafür. Sonst hätte die Meerhexe ihn nicht ausgewählt.
„Oh wie freu ich mich“, rief Schnöck nach kurzem Nachdenken und schlug Purzelbäume im Wasser. Mit einem Mal wurde es wieder ernst. „Der Große Adlatan, so wie wir in nennen müssen, ist unser Herr und Meister, denn er hat den Ring, aber wir mögen ihn nicht und er mag uns nicht. Aber wir sind an ihn gebunden, solange er den Ring hat, können wir nicht fort!“
„Der Ring wird sich finden!“ sagte Knirps Gnom voller Überzeugung und nickte heftig dazu. „Doch sag an, warum bist du allein? Wo sind die anderen?“
„Die anderen sind fortgezogen mit dem Großen Adlatan, doch ich darf nicht mit, muss hierbleiben, weil ich zu langsam bin, doch viel lieber würde ich mit den anderen schwimmen, denn es gruselt mich sehr so ganz allein. Die wilden Fische hier sind ganz schön gefährlich. Da ist es am besten, wenn ich mich gar nicht bewegen, dann sehen sie mich nicht und dann fressen sie mich auch nicht. Das würde dem Großen Adlaten gefallen, wenn ich aufgefressen würde. Wenn er wiederkommt und ich noch da bin, ärgert er sich. Aber nicht sehr, so wichtig bin ich nicht. Allein der Ring ist wichtig für ihn, er versteckt ihn im Korallenwald, da können wir nicht hinein. Der Wald ist gefährlich, denn die Korallen sind scharf wie Messer und schneiden tiefe Wunden.“ Schnöck schaute Knirps Gnom an und nickte dann. „Aber du bis klein genug, um durch die Korallen durchzuschlüpfen. Ich glaube, der Ring liegt gar nicht weit von hier.“
„Ist denn der Große Adlatan klein genug, um den Korallenwald unbeschadet zur durchqueren?“ fragte Knirps Gnom verdutzt.
„Er hat eine Angel, eine magische Angel“, erklärte Schnöck, „die wirft er aus und holt damit den Ring aus dem Wald. Leider haben wir keine Angel, das wäre dann wohl zu einfach!“
„Ich finde den Ring!“ bestätigte Knirps Gnom noch einmal mit großem Ernst, „und ich bringe euch zurück zur Meerhexe, zurück nach Hause!“
„Einmal bin ich über den Korallenwald geschwommen, ganz am Anfang. Es ist ein großer Wald und die Korallen stehen dicht an dicht. Aber es gibt auch Lichtungen zwischendrin, die sehen aus wie goldene Punkte von oben. Das kommt vom Sand, der ist golden dort und wenn eine Lichtung ist im Wald, kann man das von oben sehen.“
„Wäre es dann nicht am einfachsten, wenn du mit mir zur nächsten Lichtung schwimmst und ich dann abtauche und nachschaue, ob der Ring da ist. Und so machen wir das mit jeder Lichtung im Umkreis?“ fragte Knirps Gnom und war schon ganz aufgeregt.
„Das geht leider nicht mehr!“ erwiderte Schnöck wehmütig. „Der Große Adlatan hat vor einiger Zeit ein Netz über den Wald geworfen, ein unsichtbares Netz, darin fängt er Goldhechte, die sind sehr wertvoll und sehr scheu. Seitdem kann kein Seepferd gefahrlos über dem Korallenwald schwimmen, denn das Netz wogt in der Strömung auf und ab. Du wirst hineingehen müssen, kleiner Knirps, deswegen bis du doch hergekommen“.
Knirps Gnom nickte, ängstlich, aber auch stolz darauf, dass ausgerechnet der Kleinste dazu bestimmt war, Großes zu vollbringen.
„Aber jetzt versteckt euch! Schnell! Kommt erst heraus, wenn ich euch rufe!“, befahl das Schnöck mit einem Mal und wies ihnen die Richtung, in die sie verschwinden sollten. „Schnell! Fort! Die Herde kommt zurück und mit ihnen der Große Adlatan. Er darf euch nicht entdecken, sonst ist alles verloren. Fort! Fort!“

Das Seepferd schwamm ein ganzes Stück nach links und verharrte wieder so unbeweglich an der Stelle wie zuvor, ganz so, als wäre nichts gewesen. Das Pferdemonster zog den Kopf ein (als würde das etwas nützen) und Knirps Gnom verkroch sich im Pferdeohr. So trabten sie in die Richtung, in die Schnöck gewiesen hatte und fanden bald einige Felsen, und dahinter ein Feld mit hochgewachsenen Wasserpflanzen. Da mitten hinein legte sich Loxi und rührte sich nicht mehr. Dann hieß es warten. Und warten. Und warten. „Wir sollten ein wenig schlafen“, flüsterte Knirps Gnom, „das kann nie schaden!“ Loxi nickte und schlief auf der Stelle ein, bei Knirps Gnom dauerte es noch ein Weilchen, aber schließlich schlief auch er ein.
Jäh wurden sie durch einen gespenstischen Ton aus dem Schlaf gerissen. Das war der Ruf des Schnöck. Mit einem Satz sprang das Pferdemonster auf die Beine und aus dem Wasserpflanzendickicht heraus und trabte los.

Das Pferdemonster, begrüßte jedes Seepferd einzeln, das musste so sein und dauerte eine ganze Zeit.
„Man weiß nie, wann der Große Adlatan zurückkehrt!“ rief Schnöck ungeduldig. „Der Knirps muss sich sofort auf den Weg machen!“ bestimmte er sogleich und rief das kleinste aller Seepferde zu sich. „Es wird dich soweit hineinbringen, wie es das gefahrlos tun kann, sodann wirst du alleine weiterschwimmen und es wird auf dich warten.“ So wurde es beschlossen und so wurde es getan.

Knirps Gnom schwang sich auf den Rücken des Seepferdchens und wurde bejubelt wie ein Held, obwohl die Tat noch nicht vollbracht war. Er lächelte stolz und verlegen zugleich. Bevor ihm gar zu bang wurde, gab er dem Seepferd ein Zeichen und dieses schwamm so schnell davon, dass er sich sehr festhalten musste, um nicht herunterzufallen. Schnöck hatte ihm nicht nur das kleinste, sondern auch das schnellste Seepferd ausgewählt.
Ein ganzes Stück schon waren sie in den Korallenwald hineingeschwommen, als das Seepferd anhielt.
„Weiter weiß ich nicht, und du musst mich nun leiten. Leite mich also gut und umsichtig, denn das Schicksal meines Volkes hängt davon ab!“ sprach das Seepferdchen und drehte den Kopf so, dass es Knirps Gnom direkt in die Augen schauen konnte.
„Fürchte dich nicht, Seepferdchen!“ beruhigte Knirps Gnom sowohl das Seepferd als auch sich selbst. „Ich bin von weit hergekommen und habe euch gefunden, ich werde auch den Ring finden! Ganz bestimmt!“
Also stellte Knirps Gnom sich den Ring vor, so wie die Meerhexe ihn beschrieben hatte: ganz golden und mit Rubinen besetzt. Mit diesem Bild vor Augen lenkte er das Seepferdchen mal hierhin, mal dorthin. Erst schien es, als ginge es nur hin und her, aber bald merkte er, dass die Korallen immer dichter wuchsen und das Seepferdchen sich sogar schon die eine oder andere Schramme davongetragen hatte.
„Wünsch mir Glück, Seepferdchen!“ sprach er und ließ es zurück, um alleine weiterzusuchen.
Bald wurden die Spalten zwischen den Korallenästen sogar für ihn fast schon zu eng. Er musste sich sehr vorsichtig bewegen, damit er sich nicht verletzte oder gar stecken blieb, das war die größte Gefahr im Moment. Er wollte schon fast verzweifeln, denn er war sich sicher, dass er jede Koralle schon mehrere Male umrundet hatte. Aber da täuschte sich Knirps Gnom zum Glück. Ohne es zu bemerken, war er gut vorangekommen, denn die Korallen sahen sich tatsächlich alle zum Verwechseln ähnlich.
Schließlich erspähte er das goldene Leuchten, von welchem der Schnöck erzählt hatte, durch einen kleinen Spalt. Behutsam hangelte er sich durch und war tatsächlich in einer Lichtung im Korallenwald. Er sah sich um und hoffte sehr, dass es die richtige Lichtung war. Er war ziemlich erschöpft, und ziemlich aufgeweicht war er auch, denn er war nun schon reichlich lange unter Wasser. Das war auf Dauer nichts für einen Knirps Gnom und er bekam Sehnsucht nach dem weiten Land und dem weiten Himmel darüber.
Sein Herz machte einen aufgeregten Hopser, denn ganz in der Mitte der Lichtung, lag eine große Muschel. Er hatte sie erst nicht bemerkte, denn es lag ein Sand auf ihrer Schale, so dass sie sich kaum von der Umgebung unterschied. Sie war deutlich größer als Knirps Gnom, und mit einem Mal erhoben sich ihre Augen, die saßen auf Stielen obenauf und vornedran. Aufmerksam drehten sich die Augen hin und her. Oh je, dachte Knirps Gnom, eine Wachmuschel, und der Ring ist da drin, ganz sicher. Er stellte sich so, dass er in die beiden vornedran-Augen der Wachmuschel sehen konnte. Das schien ihm vernünftig, denn so hatte er sie im Blick und musste auch nicht so nah heran. Und so schauten sie sich an, eine ganze Zeit, die Wachmuschel den Knirps und der Knirps die Wachmuschel. Nur ein Blinzeln der Augen verriet, dass beide lebendig waren. Die Wachmuschel war nicht umsonst eine Wachmuschel und es gehörte zu ihren Wächterfähigkeiten, die Leute, die kamen so lange anzustarren, bis sie wieder von selbst fortgingen.
Knirps Gnom dachte nicht daran, fortzugehen und überdies hatte er es ein wenig eilig. Da fiel ihm die Muschel wieder ein, die ihm die Meerhexe ganz zum Schluss noch zugesteckt hatte, ganz als hätte sie geahnt, dass er ein Geschenk wohl gut brauchen könnte.

„Guten Tag, Muschel“, sprach er und nickte. „Ich heiße Knirps Gnom und wurde ausgesandt von der Meerhexe, einen Ring zu holen, der ihr gehört!“ Er verbeugte sich ein wenig. „Ich glaube, dass du den Ring hast.“
„Und wenn dem so wäre?“ fragte die Muschel mit sandiger Stimme, „was wäre dann?“
„Dann musst du mir den Ring geben, denn die Meerhexe vermisst ihn sehr und sie vermisst auch die Seepferde, die durch den Ring an den Bösen Adlatan gefesselt sind. Sie möchten nicht mehr hierbleiben, sie möchten zurück nach Hause in ihr eigenes Meer, das sie sehr vermissen!“
„Und wenn ich das Gesuchte hätte, was wäre dann?“
„Ich habe ein Geschenk zum Ausgleich mitgebracht, eine Silbermuschel mit einer blauen Murmel drin, die darfst du behalten für immer“, antwortet er und hielt die Muschel hoch.
„Und wenn das Geschenk zu klein wäre, was wäre dann?“
„Du kannst die Muschel einmal nach deinem Wunsch vergrößern. Die Meerhexe hat sie verkleinert, damit ich sie tragen kann. Du kannst sie so groß wünschen, wie dir das gefällt, so groß wie du selbst, oder ein bisschen kleiner, oder ein bisschen größer. Die Murmel darin wird dann auch größer und bestimmt noch viel, viel schöner als sie jetzt schon ist!“
„Und wenn der Adlatan käme und ich den Ring nicht mehr hätte, was wäre dann?“
„Auch dies hat die Meerhexe bedacht und gab mir einen anderen Ring, der dem einen genau gleicht. Der Böse Adlatan wird dir nichts tun, das hat die Meerhexe beschworen.“
„Und wenn das alles nicht genug wäre, was wäre dann?“
„Dann könnte ich könnte dir noch einen Witz erzählen“, antwortete Knirps Gnom, mittlerweile ganz zappelig vor Ungeduld.
„Hör auf mit dem Rumgezappel“, forderte die Muschel ihn auf, „drängel mich nicht, ich muss nachdenken, das alles will gut überlegt sein.“
Und dann: Stille! Knirps Gnom bemühte sich sehr, ruhig zu bleiben und sich seine Ungeduld nicht anmerken zu lassen.
„Also gut“, entschied die Wachmuschel nach einer langen, langen Weile. „Wir schließen folgenden Handel: Der richtige Ring wird getauscht gegen den falschen. Dafür bekomme ich eine Silbermuschel mit Saphirmurmel drin und außerdem drei Witze! Denn bedenke, ein Witz hält nicht sehr lange und wer weiß, wann das nächste Mal jemand mit einem Witz vorbeikommt.“
Und so machten sie es. Zuerst erzählte Knirps Gnom die drei Witze, was nicht so einfach war mit dem Olivenkern im Mund, denn er musste sehr lachen. Sodann klappte die Muschel ihre Schale auf und er legte die Silbermuschel und den falschen Ring hinein. Den richtigen Ring nahm er heraus und steckte ihn an den Finger.
„Und wenn der falsche Ring ein Geheimnis hätte?“ fragte die Muschel, nachdem sie sich wieder zugeklappt hatte, „was wäre dann?“
„Oh ja!“ antwortete Knips Gnom und lächelte. „Der falsche Ring hat ganz sicher ein Geheimnis, ein richtig gutes sogar, denn wenn nun der Böse Adlatan den Ring das nächste Mal an seinen Finger steckt, wird er unverzüglich ins Quallenschloss der Meerhexe versetzt. Und dann kommt er nie wieder zurück zu dir.“
„Und wenn das wirklich so wäre“, sagte die Muschel, „dann wäre das sehr gut! Nun aber fort mit dir! Mach schnell, denn der Adlatan kommt bald zurück, ich spüre die Dunkelheit, die ihm vorauseilt. Husch! Husch! Fort mit dir! Und grüße die Seepferde. Richte ihnen bitte aus, dass es mir leid tut, aber ich bin nur eine Wachmuschel, ich kann mir nicht aussuchen, was man mir zum bewachen gibt.“
Knirps Gnom versprach, alles so auszurichten und machte sich dann schleunigst auf den Rückweg. Doch vorsichtig musste er sein trotz aller Eile, denn die Korallen waren eng und scharf wie zuvor. Aber er kam schneller voran, fand sogleich den richtigen Weg, denn der Ring führte ihn nun. So traf er schnell bei der Stelle ein, wo das Seepferdchen auf ihn wartete und gemeinsam kehrten sie zur Herde zurück.

Die Seepferde schlugen ein paar schnelle Purzelbäume vor lauter Freude und das Pferdemonster grinste breit, als sie den Ring sahen. Nun stand einer Heimkehr nichts mehr im Wege. Doch Eile war geboten, denn der Böse Adlatan war im Anmarsch.

Die Seepferde waren schnelle und kräftige Schwimmer, das Pferdemonster konnte da nicht mithalten, ganz und gar nicht. Also drängten sich die Seepferde dicht an dicht um das Pferdemonster herum, verhakten ihre Schwänze untereinander und so konnten sie es mitnehmen.
„Halt dich nur gut fest!“ empfahl der Schnöck dem kleinen Knirps, „es geht gleich los und du wirst stauen, wie schnell wir wieder zuhause sind.“
Knirps Gnom nickte und war wirklich froh über den Rat, denn sie rauschten wirklich schnell dahin und das Wasser wogte in wilden Strudeln um ihn herum. Einzig an der Stelle zwischen den Welten, wo das Wasser zäh und dickflüssig war, wurden sie ein wenig langsamer, aber wirklich nur ganz wenig. Dann waren sie durch und weiter ging der wilde Ritt. Und nach kürzester Zeit erreichten sie das Quallenschloss.

Da war der Jubel groß, das Wasser schäumte von den Purzelbäumen, die die Seepferde vor Freude schlugen und die Meerhexe wurde vor Freude wieder ganz jung und schön. Endlich waren sie wieder zusammen! Wie schön!

Knirps Gnom übergab den Ring und bekam dafür einen nassen Kuss von der Meerhexe. Die Dame Marie-Luise übergab der Meerhexe das Geschenk, wie versprochen. Es war ein Handspiegel, ein sehr schöner, wie für eine Meereshexe gemacht, mit Muscheln und Perlen und Seesternen und Goldsand im Griff. Die Dame Marie-Luise hatte gut daran getan, den Spiegel erst jetzt zu übergeben. Die Meerhexe hätte sich zuvor beim Hineinschauen sonst nur vor sich selbst erschrocken.

Die Nachricht von der Rückkehr der Seepferde verbreitete sich in blitzschnell unter den Meeresbewohnern und so viele kamen herbeigeschwommen, dass es richtig eng wurde und das Wasser stellenweise knapp. Alle freuten sich so sehr, dass die Seepferde wieder zuhause waren und sie tanzten und lachten viele Stunden lang.

Das Ende des Bösen Adlatan

Das Fest war fast vorüber, die meisten Gäste waren schon nach Hause geschwommen, als die Seepferde unruhig wurden.
„Er kommt!“, flüsterten sie und versteckten abseits vom Quallenschloss. Sie hätten es nicht ertragen, den Adlatan noch einmal zu sehen. Auch die Pferdemonster liefen davon, hinauf auf den Strand, auch sie wollten ihm nicht begegnen und Knirps Gnom ging mit ihnen. Die Meerhexe und die Dame Marie-Luise machten sich bereit, den Bösen Adlatan gebührend zu empfangen.

Mitten im Thronsaal bildete sich ein Wirbel im Wasser, darin bildete sich ein Tor und daraus hervor trat der Böse Adlatan. Er strich sich das Haar zurückrück, lächelte freundlich, schaute unschuldig, gerade so, als hätten ihn zwei Freundinnen zur Kaffeetafel eingeladen.
Die Meerhexe und die Dame Marie-Louise ließen sich nicht verwirren und schauten grimmig.
„Ist das eine Art, einen alten Freund zu begrüßen?“, fragte er mit betörender Stimme. „Welch eine Freude, Euch zu sehen, so lange ist’s schon her, nicht wahr? Ich hoffe doch, es ist euch wohl ergangen in der …?“
Er verstummte jäh als ihm gewahr wurde, dass es nichts nützte und holte seinen Zauberstab hervor.
„Nie wieder wirst du deinen bösen Zauber einsetzen!“ sagte die Meerhexe und die Dame Marie-Louise schnippte einen Pflaumenkern. Der Pflaumenkern traf den Adlatan mitten an der Stirn. Sofort ließ er den Zauberstab los und verharrte reglos. Von der Stelle, wo der Kern getroffen hatte, sprudelten kleine Bläschen hervor, so viele waren es, dass sie schließlich den Adlatan gänzlich umsprudelten. Da lachte die Dame Marie-Louise erleichtert und die Meerhexe fiel mit ein. Die Bläschen waren nämlich all die bösen Zaubersprüche, die nun aus ihm heraussprudelten, sich mit dem Wasser vermischten und sich schließlich auflösten. Als der Adlatan alles Böse aus sich herausgesprudelt hatte, wirkte die Meerhexe einen Zauberspruch und verwandelte ihn in einen Süßwasserkrebs, den sie hoch im Norden verbannte. „So!“ stelle sie zufrieden fest. „Ein Eiswassersee hoch im Norden ist der richtige Ort für solch einen Bösewicht, da kann er sitzen und seine Taten bereuen, und wenn der Krabbenfresser kommt und ihn verschluckt, ist es ein für alle Mal aus mit ihm!“

Zur selben Zeit, an vielen Stellen, in vielen Welten, gab es ein freudiges Erwachen all derjenigen, die er einst verzaubert und gebannt hatte.

Die Heimat der Pferdemonster

Es wurde schon dunkel, als die Meerhexe und die Dame Marie-Luise vom Meeresgrund heraufkamen. Die Seepferde streckten ihre Köpfe aus dem Wasser, denn ganz konnten sie nicht heraus, die Meerhexe aber wohl. Das musste sie auch, denn sie hatte eine Schuld zu begleichen.

Von den Pferdemonstern war inzwischen der böse Zauber des Adlatan vollständig abgefallen, aber unglücklicherweise hatte sie hatten vergessen, von wo sie einst hergekommen waren. Es war einfach viel zu lange her. Zum Glück hatte die Meerhexe eine gute Nase. So lief sie zwischen ihnen hin und her, roch hier und schnupperte da, bis sie herausgefunden hatte, was sie wissen musste.
„Ihr habt den Geruch des Uranus an euch!“ verkündete sie schließlich und schwang ihren Zauberstab. „Der Uranus! Erinnert euch! Von dort kommt ihr her, dorthin kehrt ihr zurück. Erinnert euch!“
Die Pferdemonster schnaubten, schüttelten die Mähnen, dass die Funken darin nur so blitzten und stampften mit den Hufen und eines nach dem anderen fand zu den alten Erinnerungen zurück. Aber nicht alle, genauer gesagt zwei von ihnen erinnerten sich nicht. Was diese aber nicht schlimm fanden, zum Glück, denn sie wollten gerne bleiben, bei Knirps Gnom und der Dame Marie-Luise.

„Am Ende der nordischen Küste oder am Anfang des Wintergebirges, ganz wie ihr wollt, spannt sich zuweilen ein gewaltiger Regenbogen über das Tal“, erklärte die Meerhexe, „ihr seid alle unter ihm durchgegangen auf dem Weg zu mir. Wenn der Regenbogen das nächste Mal erscheint, wird sich das eine Ende von der Erde lösen und sich dem Himmel entgegenwölben. Dies wird der Weg sein, der euch nach Hause führt. So eilt nun, lauft zum Regenbogen, auf dass ihr bereit seid, wenn er erscheint, ihn zu betreten und nach Haus zurück zu kehren!“
Diesen Rat nahmen die Pferdemonster gerne an. Mit den Gedanken schon fort von dieser Welt, verabschiedeten sich schnell von den Seepferden, der Meerhexe und der Dame Marie-Louise. Knirps Gnom kullerten die Tränen über die Wangen und auch die Pferde hatten glänzende Augen, als sie sich ihm zu Ehren auf die Hinterbeine stellten. Dann galoppierten sie davon, schnell wie nie und dass die Funken nur so sprühten.

Die Dame Marie-Louise holte aus ihrem Beutel eine Handvoll Erdbeerkerne, die warf sie hoch. Während diese sehr, sehr langsam zur Erde zurücksanken, wirkten sie wie ein Fernglas und die Zurückgebliebenen konnten zusehen, wie die Pferdemonster beim Regenbogen angelangten und ihn betraten, eines nach dem anderen. Sie konnten sehen, wie sich das eine Ende des Bogens von der Erde löste und hoch in den Himmel streckte, bis am Ende nur noch ein winziger Strich zu sehen war. Sie konnten zusehen wie die Pferdemonster auf dieser wundersamen Straße direkt in den Himmel hineingaloppierten, bis sie zu goldenen Pünktchen wurden am Firmament. Und dann erkannten sie es: Die Pferdemonster waren Sterne am Himmel, die schon lange fehlten.

Der Wunsch

„Und fort sind sie!“, seufzte die Dame Marie-Luise und die Meerhexe nickte. „Fort und weg für immerdar. Und wir alle haben dazu beigetragen, dass sie den Weg nach Hause finden.“
„Und unser lieber kleiner Knirps Gnom hat dazu beigetragen“, lachte die Meerhexe, „dass auch die Seepferde wieder zu Hause sind.“ Im Hintergrund streckten die Seepferde die Köpfe aus dem Wasser und lachten, wie nur Pferde lachen können. „Kann ich dir für deine Hilfe vielleicht einen Wunsch erfüllen?“
„Oh ja gerne“, antwortete Knirps Gnom, „aber ich weiß gar nicht, was ich mir wünschen soll. Kann ich vielleicht später wiederkommen, wenn ich es weiß?“
„Oh nein, lieber Knirps Gnom“, das geht nicht, das geht nur heute oder gar nicht mehr, später wird es nicht mehr klappen.“ Knirps Gnom sah die Meerhexe unglücklich an, denn er wusste es wirklich nicht und hätte sich doch so gerne einen Wunsch erfüllen lassen wollen. Er schaute auch die Dame Marie-Luise an, die so schön aussah in ihrem grünen Schillerkleid und die so freundlich lächelte und immer so nett zu ihm gewesen war.
„Oh ja!“, rief er da plötzlich, „jetzt weiß ich es.“ Und dann flüsterte er der Meerhexe seinen Wunsch ins Ohr und sie wirkte sogleich den Zauber: Knirps Gnom war nicht länger klein, hatte nicht länger Platz in der Kuhle neben dem Pferdeohr. Jetzt war er so groß wie die Dame Marie-Luise, denn das war es, was er sich gewünscht hatte.
„So! Jetzt heißt es Abschied nehmen auch für uns!“, rief die Meerhexe. Die Seepferde wieherten, machten alle noch einen Sprung durch die Wellen und tauchten unter. Die Meerhexe umarmte die Dame Marie-Louise und Knirps Gnom und tauchte ebenfalls unter. Die Dame Marie-Luise und Knirps Gnom stiegen auf die Rücken der beiden Pferde und ritten davon. Zuerst erreichten sie das Ende der nordischen Küste mit dem Regenbogen, der auf sie gewartet hatte, damit sie unter ihm durchreiten konnten.

In den Bergen hatte der böse Zauber des Adlatan ebenfalls seine Wirkung verloren. Darüber war die Marie-Louise so froh, dass sie eine Weile weinen musste vor lauter Glück. Die Wege waren wieder frei, niemand musste sich mehr verlaufen, ob unterirdisch oder oberirdisch, alle gelangte wieder unbeschadet an ihr Ziel. So kam es, dass Knirps Gnom und Marie-Luise auf ihrer Heimreise viele Leute trafen. Marie-Luise erneuerte dabei alte Freundschaften und Knirps Gnom schloss neue, denn außer den Pferdemonstern hatte er früher niemanden gekannt. Und manch einer seiner neuen Freunde wunderte sich sehr, warum so ein stattlicher Mann wohl so einen drolligen Namen hatte.

Bei schönem Wetter und wolkenlosen Nächten ritten Marie-Luise und Knirps Gnom zum Berggipfel hoch. Dort sahen sie zum Himmel hinauf, solange, bis ihnen am Ende ganz schwindlig wurde davon. Auch die beiden Pferde sahen hinauf und wieherten leise. Knirps Gnom erinnerte sich dann wehmütig, wie es gewesen war, als er noch mit den Pferdemonstern galoppierte, damals, als er noch Platz gehabt hatte in der Kuhle neben dem Pferdeohr.

Ende

No Internet Connection