Schätze aller Art

Pelikandrache und Feuerelfe

Die Wanderdünen in der Wilden Wüste waren berühmt und gefürchtet gleichermaßen. Sie wanderten von Osten nach Westen über Tag und von Westen nach Osten in der Nacht, getrieben von stetigen Wind. Beim Wenden entstanden an den Dünenrändern große Wirbel, die sich bei ungünstiger Wetterlage in heftige Standstürme verwandel-ten. Das machte die Wilde Wüste zu einem unsicheren, doch auch gleichzeitig abenteuerlichen Ort, in welchem man sich zwar leicht verirren, aber auch wunderbare Oasen finden konnte. Dies war den Spitzbergen zu verdanken, die für eine gewisse Beständigkeit im Reich der Wanderdünen sorgten. Die Berge aus weißem Diamantgranit ragten in regelmäßigen Abständen in unterschiedlicher Höhe aus dem Sand hervor. Waren die Berge breit genug und gab es an dieser Stelle unterirdische Quellen, erblühten in ihrem Windschatten wunderbare Oasenlandschaften.

Auf dem höchsten Spitzberg, so ziemlich in der Mitte der Wilden Wüste, befand sich eine Drachenhöhle und in dieser lebte ein Pelikandrache namens Slandi. Er entstammte einer berühmten Drachensippe und seine Mutter behauptete, je mehr Namen einer hätte, umso vornehmer sei er. Deswegen nannte sie ihren Sohn Sortock Lamisch An-talgus Nädrölp Durrgain Idahoi. Ihm jedoch war das zu lang und nach einer Weile benannte er sich um in SLANDI.
Auch das sei, so seine Mutter, ein Zeichen für große Vornehmheit, wenn sich aus den Anfangsbuchstaben der Vornamen ein kurzer, aber berühmter Drachenname bilden ließ. SLANDI, so wusste sie zu berichten, lebte vor langer Zeit, häufte mit Mut und Geschick große Schätze an. Berühmt wurde durch die Verteidigung seines Schatzes vor den Horden der Finsterlande, die seinerzeit eine rechte Plage gewesen waren und mehr als einen Hort ausgeraubt hatten.
Slandi legte nicht viel Wert auf Vornehmheit und Berühmtheit, denn er hatte wenig Kontakt mit seinesgleichen, da sein Hort abseits der großen Drachenstadt Elmsfeuer-land lag. Als seine Mutter eines Tages nach Elmsfeuerland umzog, war er ganz zufrieden damit, nichts mehr über Drachen und ihre Geschichten hören zu müssen. Aufgewachsen mit einer Mutter, die den ganzen Tag redete und erzählte, genoss er seither die Stille der Wüste.

Slandis Drachenhöhle lag ziemlich weit oben im Berg. Von dort aus hatte er einen guten Ausblick über die Wüste. Im Inneren des Berges ging es tief hinunter bis zu den Feuerseen. Dort unten hortete Slandi, wie es sich für einen richtigen Drachen gehörte, einen großen Schatz von Gold und Silber und Edlen Steinen. Er hatte diesen Schatz geerbt, vermehrte ihn aber nicht, denn die Schatzsuche interessierte ihn nicht. Tags-über saß er gerne in der Sonne und reimte wohlklingende Verse. In wolkenlosen Nächten beobachtete das Vorüberziehn der Sterne. In der Abenddämmerung flog er aus, um sich sein Abendessen zu fangen. Alles in allem lebte er ein geruhsames Leben, ein wenig langweilig zwar, aber das störte ihn nicht, denn Slandi war von heiterem Gemüt.
Am Fuß des Berges befand sich eine stattliche Oase. Dort rastete die Große Karavane, die zweimal im Jahr vorbeikam, im Frühjahr in die eine Richtung, im Herbst in die andere. Slandi unterhielt sich gerne mit den Reisenden und erfuhr auf diese Weise alles, was sich in der Welt zugetragen hatte. Eine Zeitlang hatte er sogar in Erwägung gezogen, mit ihnen zu ziehen, im Frühjahr in die eine Richtung und im Herbst in die andere, es nach reiflicher Überlegung aber bleiben lassen. Lieber saß er tagaus tagein auf seinem Berg und dichtete. Wenn die Dunkelheit sich wie eine sanfte Decke auf die Wüste legte, die Farben fortwischte und Kälte mit sich brachte, stieg er hinab ins Innere des Berges, tief hinunter zu den Feuerseen, hinunter zu seinem wahrhaft besten Schatz. Das war Marilla, die Feuerelfe und er liebte sie über alles.

Marillas Element waren die Lavaströme tief im Herzen der Welt. Auf ihnen schwimmend zog sie zusammen mit den anderen Feuerelfen von Feuerland nach Eisland und von Atlantis nach China und an viele andere Orte mehr. Eines Tages verspürte sie einen unerklärlich starken Drang, nach links abzubiegen, wo die anderen geradeaus weitergezogen waren, und gelangte in den Lavasee im Inneren von Slandis Berg. Marilla, neugierig wie Elfen eben neugierig sind, schwebte mit der aufsteigenden Hitze nach oben. Slandi war einem ebenso unerklärlichen Drang gefolgt und herabgestiegen so-weit er konnte. Als er eben umkehren wollte, weil kein Weg mehr weiter führte, da sah er die Feuerelfe über dem feurigen Schlund schweben und die Liebe traf ihn wie ein Blitz, noch bevor er auch nur ein Wort mit ihr gesprochen hatte. Marilla ging es nicht besser, auch sie wurde heftig von der Liebe getroffen. Und so kam es, dass sie sich anlachten und Slandi die Hand aufhielt und die Feuerelfe sich darauf niederließ, denn die Feuerelfe war um einiges kleiner als Slandi. Sie redeten eine Weile miteinander, erst die Elfe dann der Drache, doch bald schon, viel zu bald schon, mussten sie sich trennen, denn der Feuerelfe wurde es zu kalt und dem Drachen wurde es zu heiß. Schnell küssten sie sich zum Abschied, dann sprang die Elfe hinab in den Schlund und Slandi rannte die Stufen nach oben in kühlere Gefilde. Er war so glücklich wie nie zu vor und reimte ein romantisches Gedicht nach dem anderen und sang so laut er konnte. Auch Marilla war glücklich, doch da sie weder dichten noch singen konnten machte sie viele Sprünge in der Lava und drehte sich und hüpfte und lachte und trieb es so toll, dass den anderen Elfen allein vom Zuschauen ganz schwindlig wurde. Da Marilla aber die einzige Feuerelfe war, die einen Drachen liebte, und die anderen Feuerelfen das nicht verstanden hätten, hielt sie ihre Liebschaft streng geheim. Slandi musste nichts geheim halten, denn ihn fragte keiner und wenn, so sagte er ihr einmal, ein Drache ist niemand Rechenschaft schuldig, solange kein anderer Drache Schaden nimmt. Marilla hielt das für eine gute Regelung, glaubte aber nicht, dass sie das unter ihresgleichen würde durchsetzen können.

Wie jeden Tag gleich nach dem Aufwachen, ging Slandi hinaus uns sah sich die Wüste an. An diesem Morgen jedoch war es nicht hell geworden, nicht so, als wäre es noch Nacht, eher so, hingen Berge von Regenwolken am Himmel. Aber er sah keine einzige Wolke. Darüber wunderte er sich so sehr, dass er das Bedürfnis fühlte, umgehend Marilla davon zu erzählen. Also stieg er hinab in die Tiefen seines Berges bis hinunter zum Lavaschlund, um die Feuerelfe zu rufen. Sie kam weit rum in der Welt und würde wohl wissen, warum es nicht Tag geworden war.
Marilla war schon da, als er ankam und so aufgeregt, dass sie nicht vernünftig sprechen konnte. Es dauerte, bis sie sich beruhigt hatte, und sagen konnte, was sie zu sagen hatte: „Die Sonne ist ins Meer gefallen“, rief sie, „stell dir vor, einfach so vom Himmel herunter!“
„Das ist kompletter Unsinn“, erwiderte Slandi bedächtig, „das kann gar nicht sein! Die Sonne fällt doch nicht vom Himmel! Niemals!“
„Aber doch ist sie vom Himmel gefallen!“ rief die Feuerelfe, lauter als zuvor. „Wir alle haben eine Erschütterung gespürt, durch alle Lavaströme hindurch. In das Nordmeer ist sie gefallen, das Nordmeer ist übergeschwappt und überall auf der Welt gibt es wilde Stürme.“ Marilla schaute ganz ernst, wo sie sonst immerzu lachte und fröhlich war. „Jetzt liegt sie an der tiefsten Stelle im Nordmeer, dort ist es eiskalt und sie wird erfrieren, wenn wir ihr nicht helfen und dann wird es immer Nacht sein für dich.“
„Wir sollen der Sonne helfen?“ fragte Slandi ein wenig dümmlich.
„Ja! Ja! Ja! Wir helfen der Sonne, ganz genau!“ rief die Feuerelfe. „Wir holen sie aus dem Wasser und bringen sie an den Himmel zurück!“
„Aber wie soll das gehen?“ fragte Slandi und wurde ganz verzagt. „Wir sind nur zu zweit und auch wenn ich recht groß bin, ist die Sonne doch so sehr viel größer als wir. Helfen die anderen Feuerelfen auch?“
„Nein, die kommen nicht!“ sagte Marilla und war ganz traurig dabei. „Sie ziehen weiter ihre Bahnen wie sonst auch, sie interessieren sich nicht für die Sonne. Für sie ist nur wichtig, dass der Lavastrom fließt. Ich täte mich auch nicht für die Sonne interessieren, wenn ich dich nicht kennen würde. Du wirst schon sehen, wir schaffen das!“, sagte die Feuerelfe nun ganz energisch. „Wir beides sind Feuerwesen und der Sonne sehr verwandt. Es gibt außer uns auf der ganzen Welt niemand, der sich sonst mit der Sonne einlassen könnte.“
„Aber ich wo ist denn das Nordmeer? Ich habe meine Wüste noch nie verlassen, ich habe keine Ahnung“, jammerte Slandi ganz verzagt, ganz undrachenhaft. „Das wird nichts, niemals nicht!“
„Doch doch!“ widersprach die Feuerelfe energisch. „Ich kenne den Weg zum Nord-meer, ich nehme die unterirdische Lavabahn und du folgst mir!“
„Und wie soll ich dich folgen?“ frage der Slandi noch verzagter. „Das wird doch nichts!“
„Doch doch, das wird!“, sagte Marilla noch energischer. „Und hör auf zu jammern, du großer Pelikandrache du! Wenn du die Augen schließt beim Fliegen und ganz fest an mich denkst, kannst du mich spüren, und dann leite ich dich zum Nordmeer.“
„Das probieren wir aber erst aus, sonst fliege ich nirgendwohin. Mit geschlossenen Augen? Nie und nimmer!“ protestierte Slandi. „Aber an dich, meine liebste Feuerelfe, denke ich immer gerne und dabei wird mir ganz fröhlich zumute!“
„Richtig! Und du folgst diesem Gefühl!“ lachte die Feuerelfe, „aber wir probieren es auf jeden Fall vorher aus, sicher ist sicher, aber du wirst sehen, es klappt! Und wenn wir das gut können, wenn du mir folgen kannst, dann können wir vermutlich sogar bald in Gedanken miteinander reden, aber sicher ist das nicht. Wir werden sehen!“
Slandi traute der Sache nicht so ganz, aber was wollte er machen, sein Schatz wollte es so gerne und deshalb ließ er sich darauf ein. Die Feuerelfe tauchte hinab, der Pelikandrache stieg nach oben, die Feuerelfe zählte auf 100, der Drache auf 50. Dann hob er ab und machte die Augen zu und dachte ganz fest an die Feuerelfe. Erst kam er sich ein bisschen dumm vor, mit geschlossenen Augen in der Luft zu schweben. Doch dann plötzlich wurde ihm ganz warm ums Herz und er spürte die Elfe, mal mehr, mal weniger nah und wenn er sie nah spürte, war er direkt über ihr und er folgte ihr in weiten Bogen rund um seinen Berg.
„Ich komm jetzt wieder rauf!“ hörte er die Feuerelfe in seinen Gedanken, was ihm das Herz überquellen ließ vor Freude. „Komm runter, damit wir den Rest besprechen können!“ Und so machten sie es, Slandi zögerlich, energisch Marilla: „Wir müssen uns sofort auf den Weg machen „Mir ist es egal, ob es eine Sonne gibt oder nicht, aber du lieber Slandi, du brauchst das Licht der Sonne! Also, auf geht’s, sonst wird das wirklich nichts mehr, und dann bleibt es so düster wie jetzt für alle Tage!“ Und damit war alles gesagt und sie machten sich auf den Weg.
Die Feuerelfe folgte dem Lavastrom und der Pelikandrache folgte der Feuerelfe. Mit der Zeit klappte das so gut, dass er auch mit offenen Augen das Gespür für Marilla nicht verlor. Viel besser, dachte er bei sich und schnaubte vergnügt, im Herzen Marilla und vor den Augen so viel Neues.

Als sie endlich ankamen, war Slandi so erschöpft, dass er selber fast vom Himmel fiel. Zum Glück führte der Lavastrom zu einem ausgebrannten Vulkan, dort landete Slandi und schlief sofort ein. So viel Anstrengung war er nicht gewohnt.
Slandi erwachte und hörte als erstes Marilla in seinen Gedanken, nun klang sie fast so verzweifelt, wie er sich fühlte.
„Es gibt keinen Ausgang zum Vulkan,“ hörte er sie sagen, „ich kann nicht heraufkommen. Und ich glaube fast, dass der Lavastrom nicht mehr so heiß ist wie gestern noch. Flieg schnell zur Sonne sag ihr, sie soll durchhalten, sag ihr, Hilfe ist unterwegs!“
„Und du glaubst, die Sonne kann mich hören?“ fragte Slandi. Marilla nickte energisch und so flog er los und schaute nach der Sonne und sagte zu ihr, was Marilla ihm aufgetragen. Und dann berichtete er, was er gesehen hatte.
„Was sollen wir nur tun?“ jammerte nun auch die Feuerelfe, „zu zweit sind wir viel zu schwach. Ich habe nicht geahnt, dass die Sonne so groß ist.“
„Wir brauchen Hilfe!“ bestimmte Slandi, „das Wasser kühlt schnell ab, es brodelt kaum noch, nicht mehr lange, und die Sonne erlischt. Ich fliege los und halte Ausschau nach jemand, der helfen kann. Hol du deine Feuerelfen herbei, sie müssen helfen, denn erlischt erst die Sonne, erkalten auch die Lavaströme, dann ist es aus, mit uns allen. Wenn dann alle da sind, wird uns schon was einfallen!“
„Bin schon unterwegs!“ rief Marilla. „Ich hoffe, dass die anderen zwischenzeitlich gemerkt haben, dass die Lava abkühlt. Sie können so stur sein und sind nur mit sich beschäftigt und … “ Und dann riss der Kontakt ab.
Das war für Slandi das Zeichen zum Aufbruch und so flog er davon, so schnell er konnte. Das Nordmeerland war überflutet. Hier würde er niemand finden, der helfen konnte, die Sonne zu bergen.

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