Auch Drachen mögen Musik

„Sie sind da!“ rief die Königin hoch oben auf dem Turm und eilte die Stufen hinab. „Sie sind da!“ wiederholte sie auf jedem Stockwerk die frohe Botschaft. Ihr Ruf wurde erst vereinzelt aufgegriffen, doch bis sie die Eingangshalle erreicht hatte, schallte es im ganzen Schloss: „Sie sind da!“
Ein wenig außer Atem trat die Königin durch das Portal gerade in dem Augenblick, als die Kutsche vorfuhr. Die Tür schwang auf, die Musikanten stiegen aus, reckten und streckten sich ungeniert nach der langen Fahrt.

Da ertönte plötzlich ein grässlich schriller Ton, gefolgt von ohrenbetäubendem Don-ner. Dunkelheit fiel herab wie ein nasses Tuch. Feuerblitze zuckten über den nacht-dunklen Himmel. Ein gewaltiger Wind packte die Musikanten, wirbelte sie hoch, als wären sie bloß Puppen aus Papier.
Es donnerte noch einmal laut und dann kehrte der lichte Tag zurück. Doch die Musi-kanten waren verschwunden.

„Das wird der Drache büßen!“ brüllte die Königin und ballte die Faust.
„Ich werden den Drachen bezwingen!“ schwor ihr Ritter.
„Ich selbst werde ihn erschlagen!“, erwiderte die Königin, „dieser Drache ist eine elende Plage, lange schon und jetzt ist genug!“
„Wir werden beide gehen!“ sagte der Ritter, „und gemeinsam die Musikanten zurück-holen!“
„Ich komme auch mit!“ rief eine Stimme.
„Was?“ erwiderten Königin und Ritter wie aus einem Munde. „Ein Zwerg?“
„Ja, ein Zwerg!“ antwortete der Zwerg hoheitsvoll. „Wir sollten eilen, bevor die Spur sich verliert.“

Der Weg war beschwerlich und leicht und lang und kurz zugleich. Das Ende des Weg-es erkannten sie daran, dass es nicht mehr weiterging. Da zog die Königin ihr Schwert und hielt es vor sich wie eine Wünschelrute bis sie die richtige Stelle fand. Mit aller Kraft stieß sie das Schwert in das unsichtbare Hindernis hinein und schnitt eine Lücke, gerade groß genug, dass sie hindurchpassten.

„Wo sind wir?“, fragte der Ritter.
„Im Schloss des Drachen“, erwiderte der Zwerg. „Das alles hier ist ein verschwomme-nes Abbild des königlichen Schlosses“, erklärte der Zwerg. „Herr Ritter, wenn Ihr also so freundlich wärt, die Musikanten zu holen, während wir hier auf den Drachen war-ten.“

Der Ritter schnaufte empört, tat aber wie ihm geheißen, und folgte den elend falschen Tönen ins hintere Ende der Halle. Dort standen die Musikanten auf einer Bühne und droschen auf Ihre Instrumente ein. Sie hörten nicht auf damit, als er laut rief, schienen ihn nicht einmal zu sehen, gerade so als wären sie gefesselt in einem unsichtbaren Ko-kon, jeder für sich allein. Schließlich packte der Ritter einen nach dem anderen und verfrachtete sie in einen herumstehenden Handwagen. Erst als sie einige Schritte von der Bühne entfernt waren, hörten die Musikanten auf zu quaken und zu grölen.

„Elende Eindringlinge“, donnerte die Stimme des Drache unheilvoll durch das Gewöl-be. „Der Tod ist euch gewiss!“
„Frau Königin, geht dem Ritter zur Hand!“ befahl der Zwerg mit deutlicher Autorität. „Er schafft es nicht alleine mit den Musikanten.“
„Aber ein Zwerg“, fragte die Königin ungläubig, „schafft es allein mit einem Dra-chen?“
„Sehr wohl, Frau Königin“, antwortet der Zwerg würdevoll. „Ich werde den Drachen besänftigen!“
„Besänftigen?“ schrie die Königin. „Er ist toll, der Zwerg, er will den Drachen besänf-tigen!“
Der Zwerg ließ sich nicht abbringen und verbeugte sich artig vor dem Drachen, was der ungläubig zuschauenden Königin ein schrilles Lachen entriss.

„Oh holder Drache“, säuselte der Zwerg. Der Drache brüllte nur. „Ich grüße dich!“ Der Drache brüllte ein weiteres Mal und Putz rieselte von der Decke. „Sag an“, fuhr der Zwerg ungerührt fort, „wünscht du nicht fröhliche Musik, die dein Herz erheitert?“
„Was versteht ein Zwerg von Musik und Herzen?“, polterte der Drachen und senkte seinen gewaltigen Kopf auf Augenhöhe mit dem Zwerg. „Noch niemals hat ein Zwerg davon verstanden! Verschwinde schnell, sonst fress‘ ich dich! Obwohl mir Zwerge seit jeher schwer im Magen liegen.“ Der Drache rotierte wild mit den Augen, Rauch quoll aus seinen Nüstern. „Mir wäre wirklich lieber“, flüsterte der Drache seltsam versöhn-lich, „du würdest einfach verschwinden!“
Nun begann der Zwerg zu summen, eine behagliche Melodie, deren liebliche Töne wie Seifenblasen durch die Luft trudelten. Gleichzeitig streckte er seine Hand aus, in deren geöffneter Handfläche es verheißungsvoll glitzerte.

Der Drache stand unbeweglich wie ein Berg, vage schattig, dunkel und furchterregend. Sein gewaltiger Schwanz zuckte unkontrolliert und schlug einiges zu Bruch.
„So reich mir nun deine Hand, allmächtiger Drache!“, sprach der Zwerg und lächelte. Der Drache schnaubte, brüllte und spuckte Feuer. „Gib mir deine Hand!“
Der Drache brüllte unentwegt, die Vorderarme fest ineinander verschränkt. Keinesfalls würde er diesem Zwerg die Hand geben. Fast unmerklich bewegte sich jedoch eine Drachenpranke dem glitzernden Ding entgegen. Er konnte nicht anders, es war ein Re-flex, nichts weiter, und als er sich besann, war es schon zu spät. Der Drache griff nach dem glitzernden Ding. Der Zwerg ergriff die Pranke mit beiden Händen und hielt sie gut fest.
Der Drache indes wallte und wogte, auf und ab, und hin und her, wie von einem un-fühlbaren Sturm gebeutelt, bis er sich schließlich in einem Gewaber von Glitzernebel schrumpfte.

„Was hast du getan, du unseliger Zwerg!“, schrie die Zwergin, die noch gerade eben ein stolzer Drache gewesen war, und stampfte wütend mit den Füßen. „Nun bin ich so ein kümmerlicher Zwerg wie du, wenn ich mich anschaue, könnte ich schreien vor Wut.“
„Oh holde Zwergin, genieße das Wunder!“ beruhigte sie der Zwerg, „denn wir werden in das Königreich zurückkehren, die Musikanten werden fröhliche Weisen spielen und unser aller Herzen erfreuen.“
„Der Drache ist besiegt auf feine Art, ein Hoch! auf den Zwerg! Die Musikanten sind gefunden, ein Hoch! auf mich!“ rief der Ritter. „Kommt ihr Zwerge, steigt ein in den Wagen, wir müssen fort von hier, denn die Zeit ist tückisch in einem Drachenhort! Wenn wir zulange verweilen, wird unser Königreich vergangen sein, ehe wir zurück sind.“
„Das wird nicht passieren!“ beruhigte sie die Königin, „die Zwergin wird ihre Dra-chenkraft aktivieren, so dass wir rechtzeitig zurück sein werden!“
Erst wollt die Zwergin nicht, denn Drachentrotz ist keine Frage der Gestalt. Doch der Zwerg lächelte ihr aufmunternd zu, und so wirkte sie ein letztes Mal einen ixilanischen Transportzauber.

Jubel brandete auf, als die Königin mit ihrem Gefolge mitten Festsaal erschien. Die Musikanten schauten sich an mit großen Augen, erwachend aus einem seltsamen Traum. Sie reckten und streckten sich ungeniert nach dem langen Schlaf und begaben sich sodann zur Bühne.
„Musikanten spielt auf!“ rief die Königin und klatschte und alle anderen im Saal fielen mit ein, „Musikanten spielt auf!“



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