Auf dem Meer

DaRoc kehrte kurz nach Sonnenaufgang nach Montablu zurück. Er hatte Ringe unter den Augen und gähnte ungeniert. Er war zwar sehr müde, aber auch sehr zufrieden, denn es war ihm gelungen, für heute eine Schiffspassage nach Yaurien zu buchen. Er bestellte ein reichhaltiges Frühstück, das er auf dem Balkon servieren ließ, denn im Wohnzimmer roch es, als wäre ein Fass Rum ausgelaufen
DaRec und DaRic lagen so auf den Sofas, wie sie von den Schankknechten hineingeworfen worden waren. Sie schnarchten was das Zeug hielt und es stank bestialisch. Er mahnte zur Eile und scheuchte alle auf, noch bevor alles aufgegessen war. Das Schiff würde bald schon auslaufen und sie durften es keinesfalls verpassen.
Kurzerhand rief er nach zwei kräftigen Knechten und befahl ihnen, die beiden Berauschten herzurichten. Derbe Scherze machend, schleppten sie die beiden in eines der Badezimmer, schrubbten sie ab, dann steckten sie sie in saubere Kleidung, schleppten sie schließlich hinaus und setzten sie in die Kutsche. Es blieb nicht aus, dass ihnen Schmährufe hinterher gerufen wurden, denn es gehörte sich nicht, dass Gefolgsmänner sich in einem derartigen Zustand in der Öffentlichkeit zeigten. DaRocs nächste Aufgabe war es, DaiRa von ihrem Spiegelbild loszueisen. Sämtliches Gepäck war schon verladen als es ihm endlich gelang: manchmal reagierte sie so stumpfsinnig wie eine Puppe. Dann kam endlich auch DaRiv, breit grinsend übers ganze Gesicht und wie aus dem Ei gepellt. DaiRa verließ den Gasthof, ganz wie es für eine Edle Alisai ziemlich war; am Arm des Gastwirts schwebte sie die Freitreppe hinunter und winkte leutselig den umstehenden Gaffern zu.

Nach einer halsbrecherischen Fahrt erreichten sie den Hafen und begaben sich unverzüglich an Bord. DaRiv ließ sich von seinem Bruder die Papiere geben und befahl ihnen, auf Deck zu warten. So warteten sie also, DaRec und DaRic am Boden zusammengekauert, die übrigen aufrecht stehend. DaRiv sprach mit dem Kapitän und tänzelte derweil um ihn herum wie ein Hund um einen Knochen. Auf die Entfernung ließ sich nicht genau erkennen, ob dies dem Kapitän angenehm war oder nicht. DaRiv beendete das Gespräch mit einer galanten Verbeugung und grinste er breit. Es dauerte nicht lange, da kam ein Offizier im Laufschritt angerannt und verbeugte sich vor DaiRa.
"Verzeiht, Edle Alisai Janibarasinn von Seisjanisnova,“ begann er, „es hat ein Missverständnis gegeben. Der Dienst habende Offizier wird selbstverständlich zur Rechenschaft gezogen, das ist gewiss. Es war sträflich von ihm, nicht zu erkennen, für wen Euer Gefolgsmann die Passage kaufte. Euch steht selbstverständlich eine Eurem Rang gemäße Kabine zu. Ein unverzeihliches Missverständnis. Der Kapitän lässt sich vielmals entschuldigen. Folgt mir bitte und verzeiht die Umstände!"
DaiRa nickte gnädig. Sie hatte sich schon so was gedacht. Wer weiß, dachte sie, wobei er den Kapitän erwischt hatte.

"Was hast du dir dabei gedacht", fuhr ihn DaRoc an, als sie alleine waren. "Die Passage im Unterdeck war schon teuer genug und wir sind noch lange nicht am Ziel."
"Ich habe mir gedacht, dass es hier oben besser ist, als zusammengepfercht mit dem Volk im Unterdeck. Nur falls ihr es vergessen habt, unsere liebe DaiRa ist eine Alisai, eine finanziell und familiär unabhängige Frau, die, ob adlig geboren oder nicht, behandelt wird wie eine Angehörige des Hochadels. Wir erinnerung uns: Eine Alisai wird daran erkannt, dass sie alleine reist, ohne Ehemann oder Anstandsdame, sondern nur von Gefolgsmännern begleitet wird. Also ist ihr Platz nicht im Unterdeck, ganz und gar nicht. Kein Kapitän kann eine Alisai im Unterdeck logieren lassen, ohne gewaltigen Ärger zu bekommen. Die Passagen im Unterdeck sind deswegen so teuer, weil der Adel hierzulande das Privileg hat, umsonst zu reisen. DaRoc, wie kommt es nur, dass du so etwas Essentielles übersehen hast? Wir hätten viel Klunkerchen sparen können, wenn wir davon gewusst hätten, denn leider wird eine einmal bezahlte Schiffspassage nicht zurückgegeben. Das war ein dummer Fehler, aber die passieren nun mal, sogar dir mein Guter. (DaRav nickte grimmig bei diesen Worten.) Der Offizier, der dir die Passage verkauft hat, wird bestraft, denn er muss erkennen, welcher Gesellschaftsschicht ein Reisender angehört. Vergehen gegen die Adligkeit werden hierzulande mit Peitschenhieben bestraft. (DaRoc wurde blass.) Doch sei unbesorgt, die von solch einem Ungemach betroffene Alsai führt in diesem Fall die Bestrafung selbst aus. (Nun war es an DaiRa, blass zu werden.) Es wird also nicht sehr wehtun. Es ist nur der Form halber, für die Mannschaft, die sieht natürlich zu."
"Das darf doch wohl nicht wahr sein, ich soll mich auspeitschen lassen, nur damit du deinem Luxusbedürfnis frönen kannst", brüllte DaRoc los. "Unauffällig wollten wir uns verhalten, unauffällig, mein Lieber, und nun so was, Pomp und Gloria und eine öffentliche Auspeitschung, auffälliger kann’s ja gar nicht gehen!"
"Beruhige dich doch, lieber Bruder, wir reisen bequem und keiner wird ein Wort über uns verlieren, denn auch das gehört zum Privileg, damit nimmt man es hierzulande genau, an Bord eines Schiffes sogar noch genauer. Wir werden völlig ungestört sein. Die Mahlzeiten werden in unser Kabine serviert, und zum Flanieren haben wir ein eigenes Deck. Was willst du mehr? Zusammengepfercht mit dem gemeinen Volk hätten wir wesentlich mehr Mühe geheim zu halten, dass wir wunderliche Hochstapler sind. Die Verhaltensnormen hier sind mehr als kompliziert, ihr erinnert euch, wir waren froh, dass wir den Stand der ALISAI gefunden haben, das passte perfek, denn eine Alisai hat große Freiheiten, mehr als irgendwer sonst auf dieser Welt. ... Ich weiß wirklich nicht, was der Adel für die übrige Bevölkerung tut, denn wie es scheint, werden die Adelspriviligien ohne Murren hingenommen.“
DaRoc nickte unwillig, brummte eine Weile vor sich hin und gab sich geschlagen, denn DaRiv hatte natürlich Recht. Er war schließlich nicht umsonst der Spezialist für gesellschaftliche Umgangsformen. Er hoffte nur, dass DaiRa sich während der Bestrafungsaktion nicht gehen ließ. Bei ihr musste man immer mit allem rechnen. Womöglich entdeckte sie, wie spaßig es sein konnte, einen anderen auszupeitschen; dann würde es schwierig sein, sie zum Aufhören zu bewegen. Doch diese Sorge erwies sich als gänzlich unbegründet. Als es schließlich so weit war, handhabte DaiRa die Peitsche mit Bravour, sie traf kein einziges Mal wirklich fest, sie erwies sich als wahre Meisterin.

Wie erwartet, hingen DaRec und DaRic den ersten Tag auf See jammernd und würgend über der Reling. Schließlich gelang es dem Service-Offizier unter den Passagieren eine heilkundige Frau aufzuspüren, die ihnen ein Kraut gegen Katerbeschwerden brachte. Daraus wurde ein bitterer Sud zubereitet, den die beiden widerstandslos schluckten. Sie waren am Ende ihrer Kräfte. Und in der Tat, es ging schneller besser. Das heißt, sie schliefen ein und schliefen durch bis zum nächsten Morgen und waren wieder fast wie neu.

Die Reise nach Yaurien schien keine Ende zu nehmen. Das lag nicht an der Entfernung. Jedoch waren sie mit einem Frachter unterwegs. Andere Schiffe gab es hier nicht, nur Frachter. Das brachte es mit sich, dass sie mehrere Male zum Be- und Entladen vor Anker gingen. So großzügig die Luxuskabine und das dazugehörige Flanierdeck auch waren, für die sechs Janibarasinn war es schon bald zu klein. Nun war es aber nicht schicklich für Damen und Herren von Rang, einfach so im Schiff herumzuspazieren. Die Wächter, die den Eingang zur ihrer Luxuskabine bewachten, ließen sie deshalb auch gar nicht hinaus.
DaRav verwandelte sich binnen kurzem in eine übellaunige Nervensäge; er konnte das Eingesperrtsein am schlechtesten ertragen. So manches Mal fehlte nicht viel, und sie wären sich gegenseitig an die Gurgel gesprungen. Einzig DaRoc bewahrte ruhiges Blut und verhinderte das Schlimmste.

Doch schließlich war auch diese Reise zu Ende und das Schiff legte an im Hafen von Yaurien im Lande Rinoman auf dem Kontinent Nos.

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