Auf nach Isilon

Der Weg war weit nach Isilon und so machte sich Hingurd in aller Frühe auf den Weg. Es war noch dunkel. Der Karren war beladen mit Säcken voller Runkelrüben, die sollte er verkaufen auf dem Markt in der Stadt.
Isilon, eine weitläufige Handelsstadt im Hinterland von Tridiklon, erstreckte sich weit den Berg hinauf. Vor ein paar Jahren noch hatte Isilon lediglich aus einem Gasthaus und drei Lagerhäusern bestanden. Erst als Bergsteiger einen Tunnel entdeckt hatten, der auf die andere Seite des Gebirges führte, waren zwischen dem Tunneleingang und Isilon und die Gebäude wie Pilze aus der Erde geschossen.

Hingurd war ein Knecht und hatte in seinem Leben nur wenig mehr gekannt als harte Arbeit von früh bis spät. Aber vor ein paar Tagen hatten sich die Dinge grundlegend geändert. Im Wald war ein Fuchs direkt vor seine Füße gelaufen. Eine Sekunde lang standen sich Mensch und Tier reglos gegenüber. Der Fuchs reagierte als erster und ergriff die Flucht, und Hingurd rannte hinterher. Seine Chancen standen gut, denn der Fuchs hatte ein lahmes Bein. Sein Traum vom Fuchspelz ging jäh zu Ende, als er in einer Wurzel hängen blieb, stolperte und mit voller Wucht zu Boden knallte. Der Boden brach ein, Hingurd fiel in ein tiefes Loch. Als er wieder zu sich kam, dröhnte ihm der Kopf, Knie und Hände waren aufgeschürft. Sonst war nichts passiert – außer, dass er in einer Höhle festsaß. Nur durch das Loch, durch das er gefallen war, kam Tageslicht herein, aber alles andere lag im Dunkeln. Es gab nichts, woran er hätte hochklettern können. So band er ein Seil an den Bogen und schoss so oft durch das Loch, bis der Pfeil sich endlich irgendwo so fest verhakte, dass er daran hochklettern konnte.
Die Entdeckung der Höhle ließ ihm keine Ruhe. Ein paar Tage später zog er los. Er nahm eine Strickleiter mit, Licht und eine Fadenspule. So ausgerüstet stieg er in die Höhle hinab. Lange lief er dort unten umher, getrieben von einer eigentümlichen Neugierde. Plötzlich ruckte die Spule an seinem Gürtel: der Faden war zu Ende. Es war wie ein Erwachen aus einem Traum. Mit einem Mal spürte er das Gewicht der Erde über sich, spürte Hunger und Durst. Er seufzte gewaltig, schalt sich selbst einen Narren und machte sich mit schleppenden Schritten auf den Rückweg. Ein Schimmern links von ihm, nur wahrgenommen aus dem Augenwinkel, hielt ihn auf. Es war stockdunkel, dort wo das Schimmern herkam, grade so, als verschluckten die Wände alles Licht. Er stolperte mehrfach und stieß gegen unsichtbare Hindernisse. Sein Herz klopfte wild. Es war als riefe der Schimmer dort ihm Dunkeln genau seinen Namen. Und dann fand er den Schatz. Wie Getreide aus einem aufgebrochenen Sack rieselten kleine blaue Steine auf den Boden, wo sich ein kleines Häufchen gebildet hatte. Er tastete die Stelle ab, doch da war nichts, nur Kälte. Ohne lange zu überlegen, griff er mit beiden Händen zu. Es war herrlich: ein Gefühl von Fülle und Glückseligkeit durchströmte ihn, nie zuvor hatte er dergleichen erlebt.
Lange hockte er nur da und spielte mit den Steinen. Sie waren warm und strahlten inwendig. Fast wie von selbst füllten sich Taschen und Beutel. Hingurd war ein redlicher Mann, der noch nie mehr genommen hatte, als ihm zustand. Und das sollte auch so bleiben! Wem auch immer der Schatz gehörte, er würde bemerken, dass etwas fehlte. Leuten, denen so ein Schatz gehörte, bemerkten das immer. Also leerte er Beutel und Taschen wieder aus, nur einen Stein behielt er für sich und vergrub ihn später unter der Feuerstelle seiner Hütte.
In den folgenden Tagen hatte er viel zu tun, stand früh auf und ging spät schlafen. Doch ohne es zu bemerken, dachte er unentwegt an den Stein. Eines Abends dann, als er müde vom Tagwerk in sein Feuer starrte, traf er eine Entscheidung: Er würde in die Hauptstadt gehen und sich freikaufen.
Doch zuerst musste er nach Isilon, denn er war nicht dumm und konnte sich ausrechnen, dass es ihm mehr Schaden als Nutzen bringen würde, wenn er mit solch einem Edelstein vor dem Rat erschien, der über den Freikauf entscheiden würde. In Isilon jedoch war es kein Problem jemand zu finden, der den Stein in tridiklonische Echtwährung umtauschen würde. Dort würde niemand nach der Herkunft des Steins fragen. Da traf es sich gut, dass er schon am nächsten Tag eine Fuhre Rüben nach Isilon bringen sollte.

Die Sonne schob sich gerade auf über den Horizont als er sie entdeckte. Sechs Menschen standen am Wegesrand, notdürftig bekleidet mit irgendwelchen Fetzten, verdreckt von oben bis unten. Während das Fuhrwerk sich ihnen langsam näherte, musterte er sie aufmerksam. Sie waren zwar schmutzig, aber wohlgenährt und unter all dem Dreck war ihre Haut rosig wie die eines Neugeborenen. Entlaufende Haussklaven, vermutlich aus dem Haushalt seines Herrn, denn sie waren noch nicht lange in der Wildnis, das sah er genau. Wenn er sie zurückbrachte, bekäme er zur Belohnung eine größere Hütte und eine Gefährtin fürs Bett. Aber mit diesem Leben hatte er abgeschlossen. Er hielt das Fuhrwerk an, sah ihnen direkt in die Augen und entdeckte, dass er sich geirrt hatte. Das waren keine Sklaven, das waren Menschen von hoher Geburt.
Im Fuhrwerk waren immer Decken für die Tiere, die gab er ihnen, denn es war kalt an diesem Morgen und sie zitterten vor Kälte. Die Männer schnappten sich leere Säcke, sprangen damit in den Graben. Die Frau blieb neben dem Fuhrwerk stehen und lächelte. Schließlich waren acht prall gefüllte Säcke verladen, die sechs kletterten auf die Ladefläche und Hingurd setzte seinen Weg fort. Bei alledem war kein Wort gefallen.
Die restliche Fahrt über sah Hingurd starr geradeaus, er sang auch nicht, wie er es sonst tat, sondern blieb stumm wie ein Fisch. Das ging hier nicht mit rechten Dingen zu, da war er sich ganz sicher und er bereute längst, sich ihrer angenommen zu haben. Hingurd fühlte sich unwohl, trotz des freundlichen Lächelns, das die Frau ihm zuweilen schenkte. Auch den Maultieren schien diese Last nicht zu behagen. Viel schneller als sonst erreichten sie Isilon.

„Bring uns zum besten Gasthaus, guter Mann, und setz uns dort ab.“ Hingurd schreckte hoch, nickte stumm und tat, wie ihm geheißen. Ein letztes Mal, so dachte er sich, werde ich einen Befehl befolgen. Das beste Gasthaus, das er kannte, war bald erreicht. „Habt Dank, guter Mann“ sagte die Frau und drückte ihm ein kleines Beutelchen in die Hand. „Nimm das für deine Mühe“. Sie lächelte ihn an, dass ihm das Herz aufging. Hingurd kam aber nicht dazu, sich zu wundern, denn in diesem Moment gingen die Tiere durch und er hatte alle Mühe, nicht die Kontrolle zu verlieren.

Wie ich das hasse, dachte Swangurd, als er dieser abgerissenen Truppe gegenübertrat, man müsste die Gesetze ändern, man müsste das alles verbieten. Gleich werden sie mir eine rührselige Geschichte auftischen von Räubern und wilden Tieren. Dabei sind sie nur verarmter Adel, das sind die Schlimmsten, sie verspielen ihr Vermögen, wollen trotzdem nur das Allerbeste, und als Belohnung lassen sie wertlosen Schmuck zurück oder gleich gar nichts, elendes Pack, schlimmer als die Ratten, es sollte verboten werden, dass wir diese Leute auf unsere Kosten durchfüttern müssen. Seinem Gesicht sah man nichts an von seinen grimmigen Gedanken, denn er wusste was sich gehörte. Sein Gasthof gehörte zwar nicht zu den ersten Adressen Isilons, aber er konnte sich durchaus sehen lassen. So machte er denn gute Miene zum bösen Spiel, etwas anderes blieb ihm auch gar nicht übrig. „Willkommen, herzlich willkommen in meinem Haus“ rief er, heitere Freude vortäuschend und breitete die Arme weit aus. „Kommt herein und lasst es Euch gut gehen!“

Das Lächeln der Dame verriet so gar nichts von der Erschöpfung, die ihr äußerer Zustand vermuten ließ. Sie konnten noch nicht lange in der Wildnis umhergeirrt sein, alles Lug und Trug. Ja, dachte Swangurd abermals und mit wachsendem Groll, lass dich hier nur auf meine Kosten nur aufpäppeln, und dann zieh los und such dir einen Gönner, was dir nicht schwer fallen wird, denn schön bist du ja, und dann auf und davon, denn wenn sie erst wieder oben schwimmen, will keiner mehr daran erinnert werden, wo sie aus der Gosse aufgetaucht sind.
„Gebt uns Eure besten Zimmer, guter Mann und ein Bad für jeden von uns. Und wenn Ihr dann so freundlich wärt … angemessene Kleidung benötigen wir, denn so können wir nicht bleiben.“ Keck hielt sie die Pferdedecke zur Seite und zeigte ein blasses Bein. Swangurd lächelte verbissen; als wenn sich jemals eine dieser Hochwohlgeborenen mit einem Gastwirt eingelassen hätte.
„Führt uns nun bitte auf die Zimmer und dann bringt uns zu essen und zu trinken, wir waren lange unterwegs.“ Es war mehr Befehl als Bitte, aber was wollte man auch anderes erwarten. „Wir werden morgen weiterreisen. Besorgt uns eine angemessene Kutsche, Reisekleidung und Garderobe zum Wechseln. Bedienstete brauchen wir nicht, aber schickt uns später einen Ortskundigen, der uns am Abend durch die Stadt führen kann.“ Swangurd wurde immer blasser, die Forderungen dieses Trüppchens würde ihn ruinieren. „Hier, nehmt das, das wird für Eure Auslagen wohl reichen“. Swangurd verbeugte sich und gab sodann die Befehle, die erforderlich waren, um die Wünsche der Herrschaft zu erfüllen. Am Abend erst kam er dazu, den Beutel zu öffnen, er hatte es nicht eilig gehabt damit, denn er rechnete nicht, darin etwas von Wert vorzufinden. So erlebte die größte Überraschung seines Lebens: Die Steine im Beutel, zwölf an der Zahl, waren wunderschön. Er kannte sich einigermaßen aus mit Edelsteinen und war sicher, dass nach Abzug aller Kosten ein prächtiger Gewinn bleiben würde.

Am nächsten Morgen ließ Swangurd es sich nicht nehmen, die großzügige Dame und ihre Gefolgsmänner höchstpersönlich zu verabschieden. Er blieb vor dem Tor stehen und sah ihnen nach, bis er die Kutsche aus dem Blick verlor.

weiter

No Internet Connection