Kapitel 8

Marianna atmete erleichtert auf, als die Tür hinter Alexander ins Schloss fiel. Was hätte sie ihm denn sagen sollen? Sie liebte ihn nicht, natürlich nicht, sie war noch nicht einmal in ihn verliebt. Schade eigentlich, dachte sie ein wenig melancholisch, vor allem für Alexander. Mit einem Mal wurde ihr merkwürdig flau zumute. Vielleicht? Vielleicht war ich doch zu barsch ihm? Sie schüttelte den Kopf, holte tief Luft und verdrängte energisch Schuldgefühle und alles, was sich da sonst noch zusammenzubrauen schien. Damit wollte sie nichts zu tun haben! Gar nichts! Sie hatte ganz andere Sorgen. Sie hatte heute Abend noch einen geschäftlichen Termin, und da musste sie ihre Sinne beisammen haben. Ziemlich griesgrämig ging sie wieder in die Küche. Nach diesem unglaublichen Ereignis brauchte sie dringend noch einen Kaffee  doch die Kanne war leer."Morgen!" sagte sie zu Eva, die mittlerweile auch in die Küche gekommen war. "Vielleicht sollte ich die Gelegenheit nützen und uns die Zukunft lesen? Oder soll ich nochmal Kaffee machen? Eine äußerst schwierige Entscheidung!"
"Oh nein, meine Liebe, ganz und gar nicht. Es gibt da gar nichts zu entscheiden. Entweder Du sagst uns die Zukunft voraus oder ... gar nichts", kam es gedehnt von Eva, "der Kaffee ist nämlich alle!"
"Das ist ja mal wieder typisch", zeterte Marianna, "und das alles vor dem Aufstehen!" Mit Todesverachtung stürzte sie den noch verbliebenen Rest kalten Kaffees hinunter und schüttelte sich. "Kalter Kaffee macht doch schön!" stellte Eva lakonisch fest und lachte herzhaft.Marianna unterdrückte ihren unbändigen Wunsch, Eva die Tasse an den Kopf zu werfen. Es war einfach entsetzlich, von munteren Menschen umgeben zu sein, während man selbst an den Leiden einer langen Nacht und den Leiden eines jugendlichen Liebhabers zu kauen hatte. Die Party hatte es in sich gehabt und zurückgeblieben war, wie so oft, ein allgemeines Durcheinander, gefühlsmäßig und ordnungstechnisch. Das Gefühlsthema war ja zum Glück abgehakt, nun konnte sie sich also um die Ordnung kümmern, zumindest in ihrem Zimmer. Sie war ausgesprochen dankbar darüber, dass ihre Mitbewohner den Rest der Wohnung schon einigermaßen aufgeräumt hatten."Na!" erwartungsvoll kam Eva in Mariannas Schlafzimmer und machte es sich auf dem Bett bequem. "War wohl eine anstrengende Nacht?!"
"Aber Hallo ...! War alles ein bisschen viel ..." Marianna lachte unmotiviert und reichlich albern. Dann ließ sich mit übertriebener Erschöpfung neben Eva aufs Bett fallen, wobei sie sich theatralisch den Kopf festhielt. "... und vor allem  ... lief natürlich alles anders als geplant! Aber  immer schön flexibel bleiben! ... Da bemühe ich mich so ungemein, meine Beziehungen spielen zu lassen ... (spannungsvoll wirksame Pause, Eva hielt auch brav den Atem an) ... und dann verschwindet dieser Freizeit Casanova mit dieser aufgetakelten Maus! Einfach unverschämt! Ich möchte bloß wissen, wo die so plötzlich hergekommen ist ... Dieser ...!"
"Hä? Was ist denn nun los? Hab' ich was verpasst oder was oder wie? Von wem redest Du denn?" Eva war einigermaßen verblüfft. "Du hast ... Dein Vergnügen doch wohl gehabt? Oder nicht, oder was? Ich habe doch“, fügte sie schelmisch hinzu, "gesehen, wie ein junger Mann geradewegs aus Deinem Zimmer kam. Oder sollte ich das etwa nur geträumt haben?"
"Nee, nee, war schon so", antwortete Marianna gedehnt, "war schon sehr nett. Doch! Doch! Aber der sollte es eigentlich gar nicht sein! Eigentlich hatte ich ja diesen Vince eingeplant ..." Eva hielt die Luft an. Vince! "... und wenn der mich wegen seiner Band so vollquatscht, kann ich doch wohl erwarten, dass er ein bisschen NETT! zu mir ist ... oder was?" Marianna seufzte tief und verdrehte in gespielter Verzweiflung die Augen. "Da lade ich ihn großzügiger weise ein und da lässt mich dieser Hampel abblitzen ... und ich bleibe auf einem sagenhaft schüchternen und unglaublich tugendhaften Trostpreis sitzen ... na ja, außergewöhnlich war es schon ... Es war sozusagen das erste Mal für ihn! Wie das Leben so spielt ... Sag mal, wenn wir schon beim Thema sind, wie war denn bei Dir das erste Mal?" fragte sie beiläufig und ohne dass ihr auffiel, dass Evas Gesicht sich mit einem Hauch von Röte überzog. "Doch bestimmt irre romantisch, so im Heustadel mit Ausblick auf rotglühende Gipfel im Sonnenuntergang und mit röhrenden Hirschen im Hintergrund? Na, komm, sag schon ..." forderte sie Marianna lachend auf, "... wie und wer und wo?"
"Es war", Eva schluckte, "überhaupt nicht romantisch, obwohl es tatsächlich im Heustadel stattfand. Es war dunkel und der Einzige, der röhrte", darüber musste Eva selbst lachen, was ihr über die Verlegenheit hinweghalf, "war ER! Es war hoffnungslos unromantisch und die reinste Katastrophe! Ich hatte natürlich keine Ahnung und ließ es über mich ergehen. Und dann war ganz lange Pause, ganz lange! Zum Glück ging alles gut, denn Verhütung war natürlich kein Thema und Safer Sex erst recht nicht, doch nicht in unserem verschlafenen Nest. Den meisten erging es wohl nicht besser, weiß ich aber nicht, keine hat darüber gesprochen. Die einzige, die darüber redete, war Maria. Die hatte einen 'Mann mit Erfahrung' erwischt und war ganz zufrieden. Der Typ hatte nur einen großen Fehler: er war ein 40jähriger playboylesender Jungfrauenjäger aus der Stadt ... auch nicht sonderlich romantisch. Na ja, wir haben es alle einigermaßen überstanden und das Wichtigste beim berühmten "ersten Mal" ist ja letztendlich doch, dass FRAU es endlich hinter sich hat und die schwere Bürde der Jungfräulichkeit irgendwie losgeworden ist. Zärtliche, einfühlsame und romantische ERST Liebhaber gibt's wohl nur im Märchen, obwohl da ja keine Rede davon ist, also am meisten liest man ja darüber in diesen rührseligen Bekennergeschichten einschlägiger Jugendzeitschriften. Und wie war's bei Dir? ... wenn wir schon beim Thema sind?"
"Nun, es war völlig problemlos, sehr angenehm, allerdings auch nicht romantisch, aber dafür sehr professionell."
"Professionell? Was meinst Du denn damit? Hast Du etwa dafür bezahlt" fragte Eva erschüttert."Nee, nee, bezahlt habe ich nicht, er war kein CallBoy oder sowas, aber trotzdem ein routinierter Profi. Ich kann's nicht anders beschreiben. Er wusste einfach, was zu tun war und wie. Vielleicht hatte er einen Kurs besucht? Es war jedenfalls keine stümperhafte Aktion. Allerdings habe ich ihn danach nicht wiedergesehen. Unbelastet von Deflorations- und Herzschmerzen konnte ich mein Frausein unbeschwert beginnen. Wahrscheinlich fährt man mit einem Profi am besten, allen Liebesgeschichten zum Trotz. Das wäre vielleicht ja noch die Idee: ein romantischer EntjungferungsService!"
Beide schwiegen und versanken ein wenig in ihren Erinnerungen."Aber sag' mal", unterbrach Marianna die einträchtige Stille, "wie fandest Du diesen Vince eigentlich? Ich finde, der hat schon was, auch wenn ich noch nicht so genau weiß, was denn eigentlich! Und verdammt gutaussehend ist er auch."
"Ach ... ich ..." Eva schluckte. Schon allein die Erwähnung seines Namens machte ihr ein Kribbeln. Nix da, sagte sie sich, nicht doch! Auf gar keinen Fall! Sie holte tief Luft und versuchte sich an einem gleichmütigen Gesichtsausdruck. Marianna schien nichts von ihrer Verwirrung zu bemerken. Umso besser! Eva fand ihre Stimme wieder, die in ihren Ohren recht rau klang, was sie verärgerte, und fuhr fort. "... keine Ahnung ... er scheint zumindest keiner zu sein, der das markige Gehabe allzusehr sehr raushängen lässt, Du weißt schon, da war doch dieser mit der knallengen Ledermontur und den Handschuhen hinten im Gürtel ... Himmel ... es geht so schnell daneben ... ein resches Mannsbild, kernig im Fleisch und so recht eine Augenweide für eine gesunde Frau! HA! So wie der aussieht, brauchst Du Dich wirklich nicht zu wundern, dass der mit einer anderen abgezogen ist. Wetten, dass er ganz doof und langweilig ist? Wo hast Du den denn eigentlich aufgegabelt, oder er dich?"
"Nun ja," erwiderte Marianna, "es war einmal in einem Café ... angequatscht und vollgelabert hat er mich. Ich konnte gar nicht so schnell zuhören wie der geredet hat. Von seiner Band und wie toll sie alle sind und was weiß ich. Dann hat er mir ihr Gruppenfoto gezeigt, und siehe da, es war ganz genau das, was ich brauchte: eine saxophonspielende Frau, einen wunderbar aussehenden Sänger, einen knackigen Schlagzeuger und die drei anderen auch ganz ansehnlich. Einfach ideal. Ich nahm das Foto und die CD und habe ihm versprochen, mich für sie einzusetzen. Ich hatte aber am nächsten Tag in aller Frühe einen wichtigen Termin und konnte seinen, nun wie soll ich sagen, Dankbarkeitsbeweis, leider nicht gleich entgegennehmen. Deswegen habe ich ihn zur Party eingeladen. Ja, ja, immer die perfekte Geschäftsfrau, selbst die Liebhaber suche ich mir danach aus! Nur hat es leider gestern nicht so richtig geklappt. Und das, wo ich so viel für ihn getan habe ... da kann ich doch wohl erwarten, dass er ein bisschen LIEB! zu mir ist, oder etwa nicht? Ist doch allgemein so üblich in diesem Geschäft!"

Wie sich jede ordentliche Geschäftsfrau vorstellen kann, war ihr Einsatz für diese eine Band natürlich nur in zweiter Linie privater Natur, denn sie ließ sich ihre beruflichen Entscheidungen natürlich nicht von charmanten Plauderern diktieren, auch wenn sie von Vince' kindlichem Eifer anfänglich gerührt gewesen war. Sie hatte das Foto allein deswegen eingesteckt und auch weitergereicht, weil sie an einem Auftrag für eine Getränkefirma arbeitete, die zur Markteinführung eines neuen Getränkes ein Konzertspektakel veranstalten wollte. Musikbands unterschiedlicher Stilrichtungen wurden gesucht, deren Mitglieder zu dem neuen, jungdynamischen Erfrischungsgetränk passen und einen repräsentativen Querschnitt der angestrebten Käuferschicht darstellen sollten. Alles in allem: Fröhliche, junge Menschen, vereint durch die Begeisterung für Musik, romantische Liebe und natürlich für das neue GETRÄNK. Erklärtes Ziel war es, zwei verschiedene Werbekurzfilme zu produzieren; Fernsehzuschauer und Kinopublikum sollten sich schließlich nicht langweilen. Je besser sie sich unterhielten, umso mehr würden sie kaufen. Es gab gar nicht so wenige Bands, die sowohl den äußerlichen als auch musikalischen Anforderungen entsprachen, doch waren keineswegs alle damit einverstanden, in einer Getränkereklame mitzuwirken.

"Meinst Du, der ahnt, dass Du für Deine 'Bemühungen' eine Gegenleistung erwartest? Das kann ich mir bei so einem nicht vorstellen, auch wenn ich natürlich nicht wirklich etwas über ihn sagen kann. Vermutlich glaubt er, es sei für Dich die allergrößte Ehre überhaupt, einen Plattenvertrag hervorzuzaubern und ihn über Nacht zum Superstar zu machen. Ich bin ganz sicher, dass er DAS von Dir ERWARTET. Na, ich fürchte, da musst Du Dich schon noch ein bisschen anstrengen, damit aus der Band was wird, dann lässt er Dich vielleicht auch mal ran, wer weiß?" Marianna nickte eigensinnig und fletschte die Zähne zu einem siegessicheren Jägerinnenlächeln. Sie würde nicht eher aufgeben, bis sie sich das Ziel ihrer Begierde einverleibt hätte. "Ich krieg' den schon ...!"

"Aber sag mal, warum hast Du Dich dann überhaupt mit diesem Alex eingelassen?" unterbrach Eva die Stille, in deren teils trägem, teils galoppierendem Gedankenfluss an dieser Stelle ein großes Fragezeichen auftaucht war."Tja ... (Marianna lächelte nachdenklich vor sich hin) ... was soll ich sagen? Ich konnte doch nicht ahnen, dass es SO werden würde! Nun gut, ein bisschen schon, es lag so etwas in der Luft. Aber ich konnte einfach nicht widerstehen, wie das halt so ist ... Er sah irgendwie so niedlich aus, so harmlos, so jung. Was weiß ich! Da habe ich ganz schön was angerichtet, fürchte ich. Ich hätte es mir denken können und die Finger davon lassen sollen. Mit so einem Jüngelchen hat man gleich immer so eine Verantwortung. Er hat so ein zartes Gemüt ... fürchterlich ...!"  Dann seufzte sie theatralisch."Und, wenn wir schon dabei sind", fragte Eva, mittlerweile nur noch neugierig, "was sagt denn eigentlich Dein Freund Bernhard dazu. Er ist doch 'Dein Freund', oder? Hat der nichts gegen Deine, wie auch immer gearteten, Männergeschichten?"
"Es gibt Dinge, die gehen ihn einfach nichts an."
"Aha! Und wenn er es irgendwie erfährt, was dann?"
"Ich sage ihm, dass es Dinge gibt, die ihn nichts angehen. Ihm passt ja auch nicht, dass ich in einer WG lebe. Er hält das für überholt und nicht standesgemäß. Deswegen setze ich Euch doch nicht vor die Tür! Also! Jeder hat so seine Fehler!"
"Aha!"
"Was heißt hier 'Aha'?"
"Nur so, nichts weiter. Ich dachte nur, mal ganz abgesehen davon, warum hast Du denn so einen? Was gefällt Dir denn an dem, der er ist doch alt und langweilig?."
"Was weißt Du denn über Bernhard? Du hast ihn doch noch nie gesehen! Er kommt nie in diese Wohnung, zumindest nicht, wenn Du oder die anderen da seid. Du kennst ihn doch gar nicht! Er ist ein kultivierter und gutaussehender Mann. Er ist natürlich nicht so jung wie der kleine Alex, das stimmt schon, aber alt ist er nicht, er wirkt nur sehr reif und gesetzt. Aber er ist gut in Form, ein angenehmer Gesellschafter und ein Mann mit den richtigen Kontakten. Genau der passende Mann für eine Frau wie mich: erfolgreich und mit vollem Terminkalender, klassisch gebildet und wohlerzogen!"
"Ist ja schon gut. Natürlich kenne ich ihn nicht, aber ich habe ihn einmal gesehen und zwar in der Firma, in der ich arbeite. Du hast mir mal ein Foto von ihm gezeigt, und dann dieser Name ... Er saß mit zwei anderen in der Cafeteria. Und was glaubst Du, wie der mich angestarrt hat. Ich fand das unmöglich und dreist!"
"Nun ja, wer weiß, was er da gedacht hat, aber zu seiner Entschuldigung muss ich sagen, dass er nicht so ein Glotzer ist. Darauf habe ich schon geachtet."
"Ach komm, Du willst doch nicht etwa allen Ernstes behaupten, dass Du diesen Mann liebst? Also, nee ... Wenn das mal kein Vater Ersatz Syndrom ist ...!"
"Nun", antwortete Marianna leichthin und nicht im Geringsten beeindruckt. "Er ist ein angenehmer Liebhaber, das hättest Du nicht gedacht, nicht wahr? Und da er abgesehen von allem anderen immer sehr wenig Zeit hat, ist es so weit so gut. Überdies ist er der ideale Begleiter für kulturelle Ereignisse und gesellschaftliche Verpflichtungen, so einen Vince könnte ich da nicht mitnehmen, viel zu auffällig, der Bursche. Aber ich seh' schon: es interessiert Dich BRENNEND!, also: Themawechsel! Wie hat's Dir denn gefallen? Hast Du Dich amüsiert? Du kanntest ja kaum jemand! War sicher ein bisschen blöde!"
"Nun ja, war ganz ok im Großen und Ganzen." Betont gleichmütig hob sie die Schultern. Was sollte sie sonst auch sagen? Irgendwie war es ja auch ganz unterhaltsam gewesen, aber halt nur irgendwie, so richtig toll amüsiert hatte sie sich nicht. Sie hatte die meiste Zeit auf dem Sofa gesessen und sich die Sache angeschaut. Zum Mitmachen hatte sie sich viel zu unbeholfen und zu befangen gefühlt, und das, obwohl sie sich so viel Mühe mit dem Styling gegeben hatte und voller guter Vorsätze gewesen war. Alles Reden von Marianna, dass sie attraktiv sei, obwohl sie nicht dem Schönheitsideal der Modezeitschriften entsprach, hatte nichts geändert. Es half nichts, sich von Marianna sagen zu lassen, dass sie ihren Geschmack, ihre ausgefallene Kleidung, ihre Intelligenz, ihren Sinn für Humor und ihre praktische Veranlagung schätzte. Wenn es ernst wurde, verkroch sie sich in ein ruhiges Eckchen und tröstete sich damit, dass sie es genau so und nicht anders haben wollte und noch währenddessen sie sich dies einzureden versuchte, ärgerte sie sich unglaublich über sich selbst. Am schrecklichsten war es, wenn sie von einem Mann angesprochen wurde, den sie interessant fand. Selbst wenn er nur etwas völlig Banales wissen wollte, verwandelte sie sich in ein stotterndes, gehirnlosen Etwas, außerstande, eine vernünftige Antwort zu geben. Das war umso schlimmer, als sie durchaus zu verbalen Glanzleistungen in der Lage war. Traurigerweise konnte sie dies jedoch nur bei dieser Sorte Männer unter Beweis stellen, in deren Gesellschaft sie sich mit schöner Regelmäßigkeit bei jeder sich bietenden Gelegenheit unversehens wiederfand, und von denen sie auserkoren worden war, all das anzuhören, was ihnen ihrem Leben an Schrecklichen Dingen so zugestoßen war. Man hätte fast meinen können, über ihrem Kopf blinke eine Leuchtreklame, auf der geschrieben stand: bitte stundenlang dämlich vollquatschen. Eva musste immer alle Register ziehen, um sie wieder loszuwerden. Dabei musste sie noch höflich bleiben, denn sie wurden schnell bösartig, wenn ihnen nicht die geforderte Aufmerksamkeit zuteil wurde. Erst gestern hatte sie ein besonders ausgeprägtes Exemplar dieser Spezies abbekommen. Im Gegensatz zu sonst war sie allerdings froh darüber gewesen: während sein Geplapper ohne Unterlass auf sie niederprasselte, hatte sie in aller Ruhe nach Vince Ausschau halten können, ohne darüber nachdenken zu müssen, warum sie das tat.
"Ey, was denn los, ey? Sag mal, hattest Du nicht so einen Hampel an Dir kleben?" Marianna zwickte sie in die Seite und riss sie aus ihren Gedanken.
"Nun ja ... war wieder mal ... typisch." Sie macht eine entsprechende Handbewegung. "Blablabla! Der hatte  diese entsetzliche Mitleidstour drauf, Du weißt schon, eine Schauergeschichte nach der anderen ... wohl ein Appell an die mütterlichen Instinkte. Wie kann man nur auf die Idee kommen, so eine Frau EROBERN! zu können? (Eva verzog kopfschüttelnd den Mund.) Die Härte war dann noch, dass mir Gabi erzählte, dass er ihr genau dieselbe Geschichte angedreht hat ... Jedenfalls, ziemlich unmöglich das Ganze ... immer nur rumjammern ... Das kann ich selber viel besser, dazu brauche ich keinen Mann!"
"Und Du bist nicht in Tränen ausgebrochen und hast ihn an Dein Herz gedrückt und ihn in Dein Bettchen gelassen? Wie konntest Du nur so hartherzig sein?" Marianna kicherte albern.
"Halte Du mal schön Deinen Schönheitsschlaf, damit Du auch fit bist für Deinen Kavalier und Deinen wichtigen Termin! Ich wecke Dich nachher und besorge inzwischen Kaffee." Eva stand auf, verzog das Gesicht zu einem belanglosen Grinsen und ging hinaus.

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