Ankunft

Ankunft

Roxiura, die glückliche Insel, und deren Bewohner, die wunderbaren Miradin, waren für die meisten Seefahrer kaum mehr als eine Erinnerung an eine vor langer Zeit gehörte Geschichte. Manchmal jedoch erlagen sie einer tief in ihrem Inneren verborgenen Sehnsucht. Wenn es soweit war, gab es immer einen unter ihnen, der die Geschichte von Roxiura zu erzählen wusste. Und er schwor, genau wie die Geschichtenerzähler vor ihm, früher einmal einen getroffen zu haben, der dort gewesen war auf jener Insel, und dass ihn seither das Glück nicht mehr verlassen hätte. Und dann folgte die Aufzählung all der vielen Dinge, die dieser eine seither sein eigenen nannte: ein Schiff, ein Haus, eine Krone, das änderte sich von Mal zu Mal, je nachdem wer die Geschichte erzählte.

Das Wasser war spiegelblank an jenem Morgen, als die Insel dem Meer entstieg, und spiegelte den Glanz der Sonne vielfach zurück, so dass der gesamte Raum in gleisendes Licht getaucht war. Zu diesem Zeitpunkt war die Insel nichts weiter als ein Felsungetüm, behangen mit Schlick und Algen und Muscheln. Es dauerte so seine Zeit, bis Blumen blühten und Gras grünte. Als schließlich die Bäume in ausreichender Menge und in der richtigen Größe gewachsen waren, da erst kamen die Miradin.

Damals waren die Miradin noch nicht so, wie sie später wurden, sondern erfahrene Seefahrer, zottig und wettergegerbt, so wie der Geschichtenerzähler. Sie verbrachten ihr gesamtes Leben auf ihren Schiffen. Sie versorgten sich mit dem was das Meer hergab und was sie auf ihren Schiffen anbauen und herstellen konnten. Darin hatten sie es zu großer Meisterschaft gebracht und so befuhren sie die vielfältigen Wasser der Erde von hier nach da und wieder zurück ohne viel Zeit an Land zu verbringen.

Nun begab es sich, dass einmal eine ganze Schiffsbesatzung entschied, sich bei der Weiterfahrt nicht dem Flottenverband anzuschließen, sondern auf der Insel zu bleiben. Warum in ihnen der Wunsch erwachte, ist ungewiss, denn in der langen Geschichte der Miradin war so etwas noch nicht vorgekommen. Nachdem sich das erste Unverständnis gelegt hatte, kam es zum ersten Streit der Miradin untereinander. Doch sie waren nicht dafür geschaffen, untereinander lange im Unfrieden zu leben, das ließ das Meer nicht zu; wollten sie auf diesem bestehen, bedurfte es eines umfassenden Miteinanders. So trennten sie sich schließlich in Frieden. Das Schiff jedoch blieb bei der Flotte und segelte mit den anderen davon. Die Zurückgebliebenen richteten sich auf der Insel ein. Ungeübt im Landleben, dauerte das so seine Zeit. Der Insel und ihrem neuen Reich gaben sie den Namen „Roxiura“, was in der ursprünglichen Sprache so viel bedeutete wie Heimathafen, etwas, was die Miradin nie hatten, es war also ein Wort, das den fortgesegelten Miradin nicht fehlen würde.

Viele Jahre lang, immer zu Beginn des Herbstes, ankerte die Flotte für kurze Zeit im Hafen von Roxiura. Dann kam die Zeit, da die Schiffe ausblieben. Die Miradin wurden seltsam traurig, denn sie ahnten wohl, was das bedeutete. Das Zeitalter der seefahrenden Miradin war zuende gegangen. Nun waren die Miradin auf Roxiura die einzigen, die aus ihrem Volk noch lebten. Generationen später war das Wissen um die seefahrenden Miradin fast verloren gegangen. Nur in ihren Geschichten spielten Seefahrer und ihre Flotte von beseelten Segelschiffen eine tragende Rolle. Die Seefahrer waren allesamt wackere Helden, die für das Gute kämpften und vielen Prinzessinnen das Leben retteten.

No Internet Connection