Traumzeit

Manchmal träumte er von einem dunklen Verließ, wo Wasser an den Wänden herabfloss und er mit Ratten um verschimmeltes Brot kämpfte. Manchmal watete er, die Hand um den Stiel einer schweren Streitaxt geklammert, durch blutiges Wasser. Und manchmal träumte er von einem Schlüssel, den er keinesfalls verlieren durfte. Wann immer ihn diese Träume heimsuchten, und das war nicht selten seit seiner Rückkehr, erwachte er mit einem schmerzhaften Aufschrei mitten in der Nacht. Dann schien der Mond in sein Zimmer und gewährte ihm das Licht das er brauchte um nachzusehen, ob Schlüssel, Buch und Schwert noch an ihrem Platz lagen, denn in diesem Zustand wusste er genau, sollte er jemals eines von diesen Dingen verlieren, wäre das Land verloren. Das wusste er so sicher, wie er wusste, dass er in diesem Augenblick nicht mehr träumte. Wenn er nach dem Weckruf seiner Mutter erwachte, den Beutel mit dem alten Plunder an sich gepresst, schalt er sich selbst einen wunderlichen Schlafwandler und verstaute den Beutel an seinem gewohnten Platz hinter dem Regal, dort, wo seine Mutter wirklich nie saubermachte.
"Es wird Zeit, dein Kommen ist angekündigt", huschte es ihm im jetzt durch den Kopf; auch das nur das Echo eines weiteren wunderlichen Traumes. Er hasste alle diese Träume, die von den leeren Stellen seiner Erinnerung kündeten. Im letzten halben Jahr war ihm einiges an seltsamen Dingen widerfahren, die er gerne vergessen hätte. Doch er hatte auch begriffen, dass es nichts nützte, so zu tun als gäbe es sie nicht.
Also kramte er den Beutel wieder hervor und schüttete seinen Inhalt vor sich auf die Bettdecke: eine Murmel, rot mit goldenen Sprenkeln, die er erst vor ein paar Tagen in einem Spielzeugladen gekauft hatte, weil diese Murmel in an etwas erinnerte, woran er sich nicht mehr erinnerte. Zum Teufel damit, sagte er, vermutlich war es das, was die Psychologin meinte, wenn sie sagte, dass es eine normale Reaktion sei, alles Schmerzhafte und Unbegreifliche zu verdrängen und zu vergessen, um ein Weiterleben zu ermöglichen.
Er öffnete die Nachtischschublade und legte die Murmel hinein. Im Augenblick schien ihm das der bessere Ort. Sie gehörte nicht zu den anderen Dingen. Ach Bockmist, geht das schon wieder los, dachte er, und nahm das Buch vorsichtig in die Hand. Es war nichts Besonderes, ein Notizbuch wie viele andere auch, rot mit Einprägungen auf der Vorderseite des Flaghornledereinbandes. Dann schlug er sich heftig mit der flachen Hand auf die Stirn, stopfte das Buch wieder in den Beutel. Nein, heute war kein Tag für FLAGHORNLEDERBÜCHER und zog sich die Decke über den Kopf.
Zwei Stunden später erwachte er sanft und gemächlich, frisch und frei von seltsamen Eingebungen. Kaffeeduft zog sachte unter der Zimmertür durch, auch der Duft nach gebratenem Speck und er fühlte sich unglaublich behaglich. Er beeilte sich nicht mit dem Aufstehen, trödelte aber auch nicht, denn er wusste, seine Mutter mochte es nicht, wenn er zu spät zum sonntäglichen Frühstück erschien.

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