Die Kraft

07AWeit entfernt von der heimatlichen Savanne streifte Ciro durch fremde Wälder. Es war kälter hier, doch die Jagd war einfacher. Antilopenähnliche Tiere, weniger grazil, dafür langsamer und fetter. Zumindest um diese Jahreszeit. Dass diese Jahreszeit zu Ende ging, bemerkte er trotz der fremden Umgebung. Die Tage wurden kürzer und die Nächte kälter. Wenn es noch kälter und noch dunkler würde, mochte es schwieriger werden mit der Jagd. Mit einem letzten bedauernden Blick auf die noch reichlichen Überreste seines letzten Mahles machte er sich auf den Weg. Er war satt, sehr satt sogar. Mehr als das zu fressen als das, machte träge, war gefährlich.
Unermüdlich streifte er umher, immer Richtung Norden, seit Wochen schon. Vielmals hatte er schon gedacht, ihr näher gekommen zu sein, denn die Spur schien frisch, doch dann war sie wieder verschwunden. So wanderte er umher, auf der Hut vor Menschen und Bären, vor allem vor den Menschen, die ihn für einen Geist hielten, was gut war, solange sie es glaubten, aber besser, er ließ sich nicht mit ihnen ein. Er hatte eine Gruppe von ihnen verfolgt, mehrere Tage lang, sie hatten es nicht bemerkt. Oder aber sie taten, als merkten sie es nicht, dann wären sie klüger, als er ihnen aufgrund ihres Aussehens zugetraut hätte. Sie redeten in einer Sprache, die er nicht verstand, auch nach diesen paar Tagen noch nicht, es fehlte zu viel des vertrauen Idioms, das der kannte. Tage später führte ihn die Spur direkt zu einer anderen Gruppe. Diese lagerte, dem Geruch nach zu urteilen, schon eine ganze Zeit am selben Ort. Er strich mehrfach ums Lager, in engeren und weiteren Kreisen. Einen ganzen Tag lang lag er auf einem Ast und hörte zu, neugierig geworden, alles weil er glaubte, das eine oder andere Wort verstanden zu haben. Aber nichts, gar nichts, diesen Menschen fehlte es eindeutig noch an Verstand.
Es wurde dunkel und still, die Menschen schliefen und für ihn wurde es Zeit, aufzubrechen, seine Zeit nicht mit nutzlosem Warten zu vergeuden, als er IHRE Stimme hörte. Er kletterte auf einen der hohen Bäume, verharrte prüfend vor jedem weiteren Schritt, ob der Ast sein Gewicht auch halten würde.
Was tat SIE hier mitten unter diesen Wilden? Würde er sie erkennen? Er kannte nur ihren Duft von einem Stück Stoff, das er gefunden hatte, damals in der Savanne. Der Wind hatte den Stofffetzen direkt vor seine Nase geweht und der Geruch war so eindringlich gewesen, dass er sofort losgegangen war.
Ciro hatte sich trotz seines Wissens um nie menschliche Sprache nie für die Belange der Menschen interessiert. Sie waren so hektisch und immer auf der Hut, rochen nach Angst und Misstrauen, alles Eigenschaften die seiner Natur nicht hätten gegensätzlicher sein können. Er lebte in der Savanne sein Leben, wie Generationen vor ihm es schon getan hatte und er war zufrieden damit, so wie alle anderen seines Rudels auch. Das Rudel war sein Leben und dafür folgte ihm das Rudel, solange bis er dafür zu alt war.
Dieser Duft jedoch hatte Visionen in ihm wachgerufen, Visionen, die ein Löwe nicht zu haben hatte, schon gar nicht der Rudelführer. Die Vision war immer drängender, bis er schließlich aufgebrochen war. Es war, als hätte er sein Leben lang nur darauf gewartet, fortzugehen. Es schien, als beginne sein Leben erst in dem Moment als er loszog, eines simplen Geruches wegen, der doch so eindringlich nach seiner Hilfe rief. Er war fortgegangen, ohne ein Wort des Abschieds oder der Erklärung. Die anderen würden schon zurechtkommen, auch ohne ihn, sie waren klug, allesamt und hatten längst einen neuen Anführer gewählt.
Der Weg war weit gewesen, doch immer war der Duft in seiner Nase gewesen. Und jetzt war er so nah, doch den Duft konnte er nicht mehr riechen, der Gestank, den die Gruppe dieser Wilden verbreitete, überdeckte ihren feinen Geruch.
Bewegungslos saß er auf dem Ast, den ganzen Tag, es wurde Abend, er rührte sich nicht, nur die Schwanzspitze zuckte manchmal unkontrolliert. Er war auf der Jagd, ganz konzentriert auf die Stimme. Zum Abend hin verkrochen sich die Wilden in niedrige Unterstände aus aufgeschichteten Zweigen, die Feuer verglommen und es wurde still. Der Löwe döste vor sich hin, dennoch war der ganze Körper in Anspannung. Plötzlich ein Zischen und ein Brodeln, Feuer flammte auf und Messerklingen blitzten. Äußerlich änderte sich an der Position des Löwen nichts, doch innerlich stand jede Faser seines Körpers unter höchster Anspannung.
Dann zerrten zwei der Wilden eine willenlose Frau hinter sich her. Der Wind frischte einen Augenblick auf und ihr Geruch wehte direkt in seine Nase. Es war sie, deren Spur, er solange gefolgt war, flankiert von dem stechenden Geruch der Wilden. Sie legten sie auf einen Steinklotz, sie wehrte sich nicht, dennoch hielten sie sie fest, je an ein Wilder an Armen und Beinen. Ein mit Federn geschmückter griff ihren Kopf, der über den Klotz hinaushing und riss ihn an den Haaren empor. In der anderen Hand blitze ein Messer. Der Löwe sprang, genau zum rechten Zeitpunkt und an die rechte Stelle, so wie er das immer wusste, wenn er auf der Jagd war. Den Mann mit den Federn erwischte er mit dem ersten Sprung, die anderen fegte er mit zwei mächtigen Prankenschlägen beiseite. Die Frau erwachte mit einem Ruck aus ihrer Trance, doch statt zu schreien, wie die meisten es taten, wenn sie seiner ansichtig wurden, schrie nicht. Sie richtete sich auf, ordnete ihre Kleider und sah ihn an. Die Zeit blieb stehen in dem Moment als sie sich erkannten.
„Bring mich nach Hause“, sagte Teresa. „Steig auf“, sagte Ciro und dann sprang er mit kräftigen Sätzen in den dunklen Wald.
Die Wilden sammelten sich zur Verfolgungsjagd, doch mit leeren Händen kamen sie wieder. Der Medizinmann tot, der Häuptling schwer verletzt, saßen sie die ganze Zeit um das Feuer herum und versanken in tiefer Lethargie. Die Frauen des Stammes indes dankten der Göttin, denn für sie war klar, dass sie einen Geist zur Rettung der fremden Frau geschickt hatten. Und sie taten, was nötig war. Sie packten ihre Sachen, viel war es nicht, und gingen fort, zurück blieben die Männer, die um die erloschenen Feuer saßen, zu nichts mehr nutze.

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