Ovidan

Abgeschirmt lag das Schlachtfeld von Ovidan unter einer Kuppel aus Zirkuth-Stahl. Ovidan war das modernste unter den Schlachtfeldern und die Regierung hoffte, damit den Krieg endgültig zu beenden. Seit der Mobilmachung ließen Domorais Soldaten ihr Leben auf den Schlachtfeldern überall im Land, ohne dass es bislang zur Entscheidung gekommen wäre.

Irin erwachte jäh aus tiefer Ohnmacht. Ihr Kopf schnellte zurück und krachte heftig gegen die Kopfstütze. Ihr Helm splitterte und fiel einfach auseinander. Das Steuerungsfeld in der Sensorbrille flackerte und gleich darauf rollte sich die Brille zusammen und fiel ihr in den Schoß. Karkonith zerbrach nicht, niemals! War es Sabotage? Oder hatten sie für die Ausrüstung der Soldaten minderwertiges Material benutzt, hatte man die Kampfausrüstungen als Wegwerfartikel produziert? Eines so unvorstellbar wie das andere!
In stetigem Rhythmus durchzuckten die Feuerblitze der Schockgranaten die immerwährende, sternenlose Dunkelheit unter der Kuppel und erhellten in stakatohaften Flackern das Schlachtfeld. Ohne Brille prallten die grellen Blitze ungefiltert auf Ihre Netzhaut. Reflexartig kniff sie die Augen zusammen. Die Ohrschützer funktionierten noch, zum Glück, das stetige Donnern war kaum zu hören. Sie bewegte die Finger im Sensorfeld und orderte eine neue Brille. Langsam öffnete sie die Augen wieder und drehte sie ihren Kopf nach rechts und links, mehr Bewegungsfreiheit ließen die Gurte nicht zu. „NEIN!“ entfuhr ihr gellend laut von tief unten. Soweit sie es überblicken konnte, waren alle Sitze rings um sie leer. So lange war sie doch nicht ohnmächtig gewesen? Sie die Totengräber doch sehen müssen? Sie atmete hektisch, am Rande eines hysterischen Anfalls. Eine qualvolle Hustenattacke brachte sie an den Rand des Erstickens. Verzweifelt versuchte sie eine Entspannungsübung anzuwenden. Längst hätte das Lebenserhaltungssystem auf ihren Organismus einwirken müssen. Endlich hatten sich Herz und Atmung soweit beruhigt, dass sie es wagen konnte, sich noch einmal umzuschauen. Von den Kopfstützen herab hing weißer Trauerflor. Zeichen dessen, dass hier ein Soldat gefallen war. Jeder Schal trug den Namen des Gefallenen, fein säuberlich eingestickt. Bei diesem Anblick überkam sie eine zornige Klarheit. Die Regierung hatte von Anfang an mit hohen Verlusten gerechnet und die Schals schon frühzeitig produziert. Sie zog ob dieser Grässlichkeit scharf die Luft ein. Einige wenige Sitze waren noch besetzt, aber die Sensorbrillen waren erloschen. Sie war die einzige Überlebende. „Warum?“ schrie Irin laut in die flackernde Dunkelheit hinein, die ihren Schrei gleichmütig verschluckte. „Mink?“ schrie sie lauter noch als zuvor mit sich überschlagender Stimme. Doch wer sollte sie hören, da sie sich doch selbst kaum hörte. „Mink! Haben sie dich geholt? Oh, Mink, was geschieht hier nur?“ Ihr Schluchzen schüttelte sie wie in einem Krampf. Langsam jedoch verebbte es, wurde weniger und weniger. Irin war eingeschlafen.

„Ein Fehler“, murmelte sie im Erwachen, „es gibt einen Fehler, dieser Krieg ist ein Fehler, er hätte niemals begonnen werden dürfen.“ Sie hob den Kopf, lehnte ihn an die Stütze und bewegte ihn sachte hin und her. „Niemals!“ schrie sie unvermittelt, „niemals!“
Es schien Ewigkeiten her zu sein, seit sie gemeinsam mit Mink und zehntausend anderen zum Schlachtfeld marschiert waren. Im Gleichschritt marsch und voran. Sie hatten gesungen, besser gesagt gebrüllt, ein Lied nach dem anderen, bevor sie schließlich angekommen waren im Feldlager. Jetzt wo sie darüber nachdachte, das erstmal darüber nachdachte war das schon die erste Ungeheuerlichkeit gewesen. Sie waren zu Fuß gegangen, einen ganzen Tag lang, fast alle hatten Blasen gehabt an den Füßen und von der Sonne verbrannte Gesichter.

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