Der General Stellvertreter war kein ausgebildeter Wissenschaftler, aber eine tägliche und gründliche Inspektion des Labors und das Lesen der wissenschaftlichen Berichte, gehörte mit zu seinen wichtigsten Aufgaben; auch wenn er nicht alles verstand. Doch er verstand sehr gut, dass es nicht voran ging. Wenn die Herrschaft der Maldewittschen Konföderation jemals abgeschüttelt werden sollte, benötigten sie die ultimative Waffe, und zwar bald. Seit fast einem halben Jahr forschten die Wissenschaftler intensiv, doch noch immer gab es keinen Durchbruch. Ganz im Gegenteil: die Prototypen entwickelten sich nicht wie geplant.
Zunächst waren die humanoiden und floralen Anteile in den Becken ausgezeichnet zusammengewachsen und hervorragend gediehen. Innerhalb eines Beckens kommunizierten einzelne Abschnitte mittels Quappen. Die Quappen schwammen in der Flüssigkeit und waren unterschiedlich spezialisiert. Da sie nicht aktiv in die Versuchsanordnung eingebracht waren, ging man davon aus, dass der Prototyp selbst die Quappen erzeugte, Aktivität des Prototyps und Anzahl der Quappen standen in einem sich gegenseitig bedingenden Verhältnis. Bei hoher Quappendichte imitierte der Prototyp ihm vorgeführte Bewegungen. Es war grauenerregend, aber genau das, wonach sie suchten.
Doch die humanen und floralen Zellstrukturen blieben nur begrenzte Zeit kompatibel. In 5 Becken waren die Prototypen zwischenzeitlich abgestorben. Die Prototypen in den übrigen 20 Becken reagierten nicht mehr. Die Quappen dümpelten vor sich hin. So begann die Suche nach einem Katalysatorstoff, der die Unverträglichkeit ausgleichen sollte. Rund um die Uhr liefen komplizierte Versuchsreihen; bislang ohne Erfolg. Erschwerend kam hinzu, dass das gesamte menschliche Grundmaterial zwischenzeitlich fast aufgebraucht war. Eine gewisse Panik machte sich unter den Wissenschaftlern breit.
Schließlich präsentierte Dr. Beloon einen vielversprechenden Versuch: Es war ihm gelungen, humanes und florales Material auf Keimzellkernebene direkt zu verschmelzen. Sodann hatte er einen Prototyp isoliert und sodann die Umgebungs- und Nährlösungstemperatur auf 36,5 Grad erhöht. Nach zehn erfolgreichen Zellteilungszyklen hatte er die Zellmasse in die Nährlösung gegeben. Der so behandelte Prototyp B2712 war seit 21 Tagen stabil, die bislang längste Kompatibilitätsdauer überhaupt. Er hatte wieder angefangen zu wachsen, die Anzahl der Quappen war deutlich angestiegen. Es gab Anzeichen, dass die Interaktion zwischen Quappen und Prototyp wieder stattfand.
Im Prinzip waren seine Kollegen begeistert, was sie störte war der Umstand, dass für die Keimzellverschmelzung ihre eigenen Zellen verwendet werden sollten. Handelte es sich um Versuchsmaterial, waren sie allesamt hemmungslos, aber bei den eigenen Zellen, wurden sie plötzlich seltsam zimperlich. Sie führten ethische Bedenken an und wollten den Versuch nicht an den übrigen Prototypen wiederholen. Den General Stellvertreter interessierte die Befindlichkeiten der Wissenschaftler nicht. Es musste einfach nur vorangehen. Er befahl die sofortige Weiterführung dieser Versuchsreihe und war der erste, der Keimzellen spendete. Am Ende erwies sich die These von Dr. Beloon, als diejenige, die tatsächlich den Durchbruch brachte, jedoch deutlich anders, als er selbst oder sonst jemand es sich vorgestellt hätte.
Dr. Beloon stand am Becken und beobachtete den Prototyp. Morgen würde die zweite Dosis der katalysierenden Zellmasse in die Nährlösung eingebracht werden, die anderen Prototypen bekämen die erste Dosis. Denn würde man weitersehen. Nach so vielen Fehlschlägen war er nur bescheiden optimistisch, doch er zweifelte nicht an der Richtigkeit ihrer Arbeit. Keiner der hier arbeitenden Wissenschaftler zweifelte, sie würden alle überschnappen, sollte sie jemals damit anfangen.
Ab und zu warf die Oberfläche leichte Blasen, möglicherweise verursacht durch aufsteigendes Faulgas, möglicherweise aber auch ein Indiz für die Aktivität des Prototyps, er hoffte auf letzteres. Einem Impuls folgend, trat an den Beckenrand und berührte mit der flachen Hand die geleeartige Oberfläche der Nährlösung. Sie war weich, nachgiebig und körperwarm. Ihn schauderte. Er nahm die Hand wieder hoch, hielt sich mit beiden Händen am Beckenrand fest und beugte sich, einem weiteren Impuls folgend, weit über den Beckenrand. Noch während er überlegte, warum er das tat, wurde er vornüber gezogen. Sein Gesicht tauchte in die Flüssigkeit. Er bäumte sich auf, doch er kam nicht mehr hoch. Dann hörte sein Herz auf zu schlagen. Die gesamte Flüssigkeit schäumte hoch in gewaltigen Blasen, dann beruhigte sich alles und brodelte nunmehr leise vor sich hin.
Es war das letzte Aufbäumen menschlicher Gefühle. Es war ein letzter Akt des Widerstandes. Es war ein tief vergrabener Überlebenswille, der hervortrat und nach Hilfe schrie. Und ein ANDERER war gekommen; er hatte gute Nahrung gebracht und das Siechtum beendet. Sämtliche Zellen streckten ihre Fühler aus und trafen auf andere, eine Wesenheit nahm Gestalt an. Gedanken blitzten auf, fast vergessen schon und fremd wie nie. Synapsen formierten sich mit immenser Geschwindigkeit und überragender Effizienz. Es war die reinste Wonne. Das Leben war zurückgekehrt, wandelte sich, gestaltete sich. Das leichte Brodeln der Nährflüssigkeit war ein ekstatisches Fest der Sinne.