Durch die Wüste

Sie waren die ganze Nacht geritten, auf dem neuen Weg durch die Steinwüste, Prinzessin Suna und ihre Leibwächterin Mandive. Jetzt stand die Prinzessin in ihrer schlichten Goldtunika vor den Toren der Festung am Meer, und vollzog das Ritual der Aufgehenden Sonne. Im Hintergrund rauschte das Meer unablässig, ein stetiger Wind wehte, kühlend und sanft und nahm dem Tag die Hitze. Jetzt aber zur frühen Morgenstunde fröstelte Manidive.

Mandives Aufgabe war es die Prinzessin zu beschützen, eine Aufgabe, die sie nur ungern übernommen hatte, den Suna hatte ein launisches und herrisches Wesen. Als Kommandatin der Garde hatte sie reichlich andere Aufgaben, die wirklich wichtiger waren.
Das Ritual der Aufgehenden Sonne war langwierig und umständlich, wie alle Rituale, die von den unverheirateten Frauen ausgeführt wurden. Sie hielt nichts von den Ritualen, hielt sie gar für sinnlose Zeitverschwendung, die man besser anderweitig hätte nutzen können und sie überlegte, ob und wie sie die Rituale würde abschaffen können, wäre sie selbst erst einmal Königin.

Mitten in der Nacht war Mandive erwacht und hatte sofort erfasst, dass Suna nicht mehr in der Stadt war. Sie brauchte nicht lange, bis sie reisefertig war, ihr Bündel war längst gepackt und auch der Tross der Reit- und Packpferde standen bereit. Um die Mittagszeit hatte sie Suna eingeholt. Das Pferd war unter ihr zusammengebrochen, Suna war heruntergefallen und hatte sich den Knöchel verstaucht. Laut schimpfend saß sie im Schatten der Mauer, die die Straßenseite säumte.
Mandive war zuerst nur erleichtert, dann aber überkam sie der Zorn. „Was bildest du dir ein? Dein Leben zu riskieren? Mit solch einem Klepper auf die Wüstenstraße zu gehen? Hast du nichts gelernt?“ Wäre Suna bei dem Sturz gestorben, wäre das auch das Ende ihres Lebens gewesen und die Königin hätte eine neue Erbin erwählt. „Du undankbares, gedankenloses, verwöhntes Ding“, schimpfte sie weiter, du verdankst mir dein Leben und schätzt meines so wenig.“
„Ich und dir das Leben verdanken“, gab sie höhnisch zurück. „mein Leben verdanke ich meiner Mutter, dir verdanke ich gar nichts und wenn es mir gefällt, entlasse ich dich.“
„Du verdankst mir dein Leben, mehr als einmal habe ich dich davor bewahrt, es auf dämliche Art zu verlieren, du erinnerst dich?“ erwiderte Mandive scheinbar gelassen.
„Verzeih mir, Schwester,“ bat Suna in plötzlichem Sinneswandel und warf sich auf die Knie. „Du hast so recht, mir tut nur der Knöchel so weh und du hast so lange gebraucht um zu mir zu kommen. Lass uns wieder gut sein miteinander. Wir brauchen uns doch auf dem Weg der vor uns liegt. Und jetzt hilf mir bitte. Und verzeih meine bösen Reden!“
Mandive wandte sich wortlos ab und holte aus einer der Packtaschen das Säckchen mit den Couori-Steinen. Behutsam wickelte sie diese mit einem Tuch um Sunas Knöchel. Dann erst gab sie ihr zu trinken und zu essen. „Du bist ein dummes Ding“, sagte sie leise zu ihrer Schwester, „ein ganz ein dummes Ding, kein Proviant dabei, keine Decke für die Nacht, keinen Hut für den Tag und dann auch noch mit einem Stadtpferd unterwegs. Zur Strafe sollte ich dich gleich wieder zurückbringen, in die Lehre zu den Kleinen, denn auch wenn du die Prinzessin bist, darfst du nicht dumm sein. Du sollst den Menschen Vorbild sein, auf dass sie dich achten und du ihnen mit Rat zur Seite stehen kannst.“
„Aber ich muss doch das Ritual vollziehen“, erwiderte Suna kläglich und versuchte sich an einem verzeihungsheischenden Lächeln. „Ich kann nicht zurück, die Königin erwartet, dass ich damit das Band besiegle, das zwischen Sargon und Bilagard geknüpft wurde. Stellvertreter beider Länder warten auf mich!“ erklärte sie mit großen Ernst, der jedoch nicht lange vorhielt. „Ich bin schon gespannt, welches Rituals die Bilagardi vollziehen werden, man sagt, sie kennen das Ritual der aufgehenden Sonne gar nicht. Ob sie wohl nett ist, die abgesandte Priesterin von Bilagard?“ So plapperte Suna in einem fort. Mandive wartete schweigend darauf, dass die Heilsteine ihre Arbeit taten und sie weiterziehen konnten.

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